QUESTION TIME – Unfallhäufungsstellen und Unfallkommission

Rhein-Eifel_1

Eine seit 2 Jahren offene Anfrage zur Darmstädter Unfallsicherheit – Offener Brief

Im Rahmen der Recherche zur Analyse der Sicherheit von Radfahrenden an Darmstädter Kreuzungen dem QUALITÄTS-CHECK RADVERKEHRSNETZ DARMSTADT – Teil 3 KREUZUNGEN (Veröffentlicht im Juni 2022) wollte Darmstadt fährt Rad die Zahlen zu Unfallhäufungsstellen mit der Stadt Darmstadt abgleichen und hat eine entsprechende Liste im Januar 2022 bei der Stadt angefragt.

Was sind Unfallhäufungsstellen?

In dem Erlass hessischer Ministerien Erfassung und Analyse von Straßenverkehrsunfällen[1] werden die Kriterien definiert, die Stellen im Straßennetz zu Unfallhäufungspunkten machen. Danach sind Unfallhäufungspunkte von der Polizei wie folgt zu ermitteln: 

„Eine Unfallhäufung liegt dann vor, wenn sich an Knotenpunkten oder auf Straßenabschnitten von maximal 300 m Länge mindestens fünf Unfälle eines Unfalltyps[2] innerhalb eines Kalenderjahres oder mindestens drei Unfälle mit schwerem Personenschaden innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren ereignet haben.“

Was ist eine Unfallkommission?

Laut der Verwaltungsvorschrift der StVO zu § 44 I und Regelungen auf Landesebene ist von kreisfreien Städten eine sogenannte Unfallkommission einzusetzen. Diese hat laut hessischem Erlass in der Regel zweimal pro Jahr oder häufiger zu tagen, mit dem Ziel, über geeignete vorgeschlagene Maßnahmen, die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Im Erlass hieß es bis 31.01.2024 (s. Fußnote 1):

„Die Unfallkommission behandelt ausschließlich Unfallhäufungen. Im Rahmen der örtlichen Untersuchung von Straßenverkehrsunfällen hat sie die Aufgabe, diese zu bewerten und für geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung des Unfallgeschehens zu sorgen. (…) Die Umsetzung der Maßnahmen obliegt den jeweilig zuständigen Fachbehörden. Es ist im Protokoll der Beratung zu dokumentieren, welche Stelle für welche Maßnahme verantwortlich ist. (…) Die Tätigkeit der Verkehrsunfallkommission ist durch eine zwischen allen Beteiligten abgestimmte Öffentlichkeitsarbeit bekannt zu machen.“

Unfallkommission ÖA
Hessischer Erlass zu Unfallhäufungsstellen (gültig 2009 bis 01-2024): Ausschnitt zur Öffentlichkeitsarbeit

Angaben zu den Unfallhäufungsstellen wurde bis heute nicht übermittelt.

Aufgrund einer FragDenStaat-Anfrage[3] stellte sich jedoch heraus, dass die Unfallkommission der Stadt Darmstadt in den letzten Jahren nur sporadisch getagt hat. Wie häufig und mit welchen Ergebnissen ist bis heute unklar. In Anbetracht der Tatsache, dass es bei dem Thema Unfallhäufungsstellen um das Wohl und die Sicherheit von Verkehrsteilnehmenden geht, ist das ein nicht hinzunehmendes Versäumnis.

Die oben erwähnten Voraussetzungen, die Straßenstellen zu Unfallhäufungsorten machen, sind so hoch, dass die wenigsten Orte diese Bezeichnung erhalten. D.h. die Liste der Unfallhäufungsstellen müsste recht übersichtlich sein. Ebenso ist es der Arbeitsaufwand für die Unfallkommission. In der Analyse der Kreuzungen mit Radverkehrsunfällen erreicht nach eigener Recherche nur eine der 114 untersuchten Kreuzungen das Kriterium der Unfallhäufungsstellen. Die volkswirtschaftlichen Kosten aus den in 5 Jahren zwischen 2016-2020 aller an der Kreuzung Pallaswiesenstr./Im Tiefen See passierten Unfälle betragen 620.000 €. Die Kosten der Unfälle an allen untersuchten Kreuzungen betragen jedoch das 25 fache nämlich 15,5 Mio. €. Von daher ist zu begrüßen, dass die Überarbeitung des hessischen Erlasses, die Tätigkeit der Unfallkommission künftig auf Stellen erweitert, die nicht die Klassifizierung als Unfallhäufungsstelle erreichen.

Wenn sich niemand um die Optimierung der Sicherheit der wenigen Unfallhäufungspunkte gekümmert hat, wie ging man dann erst mit Unfallstellen um, die diese Klassifizierung nicht erreicht haben, die jedoch trotzdem ein hohes Sicherheitsrisiko gerade für Fußgänger und RadfahrerInnen darstellen?

Infobox: Ein weiteres städtisches Instrument für die Verkehrssicherheit neben der Unfallkommission sind die Verkehrsschauen. Diese werden alle zwei Jahre durchgeführt. Unterlagen liegen der Öffentlichkeit für die Jahre 2013, 2015 und 2017 vor. Bei diesen Verkehrsschauen werden im Rahmen von Begehungen Maßnahmen vorgeschlagen. Dies beschränken sich jedoch vorrangig auf die Prüfung von Anordnungen (Verkehrszeichen) im Abgleich mit der aktuellen StVO. Viele Maßnahmen umfassen lediglich einen Austausch von verschlissenen Verkehrszeichen oder sogar die Rücknahme von Verkehrszeichen zum Nachteil von weichen Verkehrsteilnehmern. Bauliche Maßnahmen, die viel effektiver sind (z.B. geschwindigkeitsbeschränkende Maßnahmen) werden nicht vorgeschlagen.

Beispiele

  1. Die Stadt Darmstadt tut zu wenig beim Thema Radverkehrssicherheit. Beispiele genug finden sich in der erwähnten Untersuchung der Darmstädter Kreuzungen von 2022. Ein Beispiel daraus ist die Kreuzung mit den meisten Radverkehrsunfällen: Die signalisierten Kreuzung Pallaswiesenstr./Im Tiefen See. Hier wurde seit Jahren keine einzige Maßnahme zur Sicherheit des Radverkehrs umgesetzt. Auf die unsichere paradoxe Radverkehrsführung inkl. Sichthindernis durch Werbeelement, konflikthafte Führung über eine Bushaltestelle und Führung über Bordsteinschwellen wurde von Darmstadt fährt Rad schon 2017 hingewiesen.
Kreuzung Pallaswiesenstr./ Im Tiefen See: Regelwidrige Anlage von Radverkehrsführung: Vorhandene Sichthindernisse und unverständliche Führung mit Unfallrisiko
Kreuzung Pallaswiesenstr./ Im Tiefen See: Regelwidrige Anlage der Radverkehrsführung: Vorhandene Sicht- und Fahrhindernisse und unverständliche Führung mit Unfallrisiko
  1. Ein anderes Beispiel einer nicht signalisierten Kreuzung ist die an der Rheinstraße Ecke Eifelring (südl. Kreuzung). Die Kreuzung mit Zweirichtungsradweg ist ein Unfallhäufungspunkt[4], an dem durch vorhandene Büsche die Sicht auf Radfahrende stark eingeschränkt ist. Die Stadt bleibt hier, bis auf ein Auffrischen der Bodenmarkierungen und unregelmäßige, völlig unzulängliche Rückschnitte eines Teils der Büsche beinahe völlig untätig, die Sicherheit für Radfahrende zu verbessern.[5] Mehr zu diesem Beispiel im Infokasten FALLBEISPIEL in diesem Beitrag.

In diesem offenen Brief versucht es Darmstadt fährt Rad erneut, die Antworten zu den seit zwei Jahren gestellten Fragen zu erhalten. Die Anfragen erfolgten seit Januar 2022 zunächst per Mail, im Fortlauf dann über die Plattform FragDenStaat, über die Anfragen #245721 und #282668. Die Anfrage #251122 beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema.


Sehr geehrter Herr Wandrey, 

ich komme nochmals auf Sie zu in der Sache der Unfallhäufungsstellen. Seit nunmehr zwei Jahren (Januar 2022) versuche ich, Informationen zur Tätigkeit der Unfallkommission der Stadt Darmstadt und über Unfallhäufungsstellen zu erhalten. Bislang sind die Antworten auf meine Anfragen nicht zufriedenstellend. Bitte haben Sie daher Verständnis, dass die Anfrage neben FragDenStaat u.a. auch im Blog von Darmstadt fährt Rad veröffentlicht wird.

Ich hatte ursprünglich um die Zusendung der Berichte der Unfallkommission zu Unfallhäufungsstellen gebeten. Diese Unterlagen wurden bislang nicht übermittelt. Aus der, sich daraus ergebenen, Korrespondenz ist diese Anfrage konkretisiert worden:

  1. Dokumentation der Unfallkommission der Stadt Darmstadt der letzten 5 Jahre (insbesondere empfohlene Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit an Unfallhäufungsstellen)
  2. Liste der Unfallhäufungsstellen der letzten drei Jahre
  3. Information über die Termine an denen sich die Unfallkommission in den letzten 10 Jahren beraten hat (s. Anfrage über FragDenStaat #282668)

Bislang gingen dazu folgende Antworten ein: 

Zu 1. Dokumentation 

Eine Bekanntmachung der Tätigkeit der Unfallkommission laut Erlass ist bislang nicht für ein einziges Jahr getätigt. Laut Straßenverkehrsbehörde wurde im März 2022 an einer Information für die Öffentlichkeit gearbeitet. Dies wurde auch 2 Jahre später nicht veröffentlicht.

Zu 2. Unfallhäufungsstellen

Von der Straßenverkehrsbehörde wurde ich im Januar 2022 informiert, dass eine Veröffentlichung der Unfallhäufungsstellen bislang nicht erfolgt ist und nicht vorgesehen war. Es wurden lediglich allgemein gehaltene Unfallberichte durch das Polizeipräsidium veröffentlicht. Auch durch Sie wurde ein Verweis auf diese Berichte wiederholt. Diese Berichte enthalten jedoch keinerlei Angaben über Unfallhäufungsstellen, also keine Hinweise zur Tätigkeit der Unfallkommission und beantworten somit auch nicht die ursprüngliche Frage. 

Zu 3. Sitzungstermine der Unfallkommission

Auf die FragdenStaat-Anfrage #251122 antwortete die Straßenverkehrsbehörde am 30.06.2022, dass es für die Kalenderjahre 2015 und 2016 aus verwaltungstechnischen Gründen keine Sitzung der Unfallkommission gab. Die letzte Sitzung sei am 15.01.2015 für das Kalenderjahr 2013 gewesen.

Sie teilten mir hingegen mit, dass das Gremium der Unfallkommission seit mehreren Jahren in einem jährlichen Rhythmus tagt, jedoch im Zeitraum von 2019 bis 2020 nicht tagen konnte, und dass die letzte Sitzung für das Kalenderjahr 2021 am 31.10.2022 stattfand. 

Konkrete Angaben für stattgefundene Sitzungstermine der letzten 10 Jahre von 2012-2022 gibt es lediglich für die Jahre 2013 und 2021. Für die fünf Jahre 2014-2016, sowie 2019-2020 gab es nach Angaben der Stadt Darmstadt keine Sitzungen, für das Jahr 2022 war ein Termin für die Sitzung Stand Juni 2023 nicht definiert. Über die Jahre 2012 und 2017-2018 machen Sie keine Angaben.

Aufgrund der teilweisen fehlenden Angaben und Widersprüche, bitte ich um Klarstellung und Ergänzung. Ebenso bitte ich nochmals darum, die Aussagen mit entsprechenden Sitzungsprotokollen zu belegen. 

Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Anfrage ist bislang nicht beantwortet worden. Gründe dafür sind nicht nachvollziehbar. 

Der bislang erfolgten Korrespondenz nach, hat die Stadt Darmstadt den hessischen Erlass zu Unfallhäufungsstellen nicht befolgt und sich zu wenig mit den Unfallhäufungsstellen der Stadt beschäftigt und die Öffentlichkeit nicht darüber informiert. Leider tut die Stadt zu wenig, um dies wieder gutzumachen. Hinweise darüber, dass die Unfallkommission mittlerweile tagt und mit welchen Ergebnissen, hat die Öffentlichkeit immer noch keine. Die Antworten auf meine Anfrage tragen leider nicht dazu bei. Gerade beim Thema Verkehrssicherheit tut die Stadt Darmstadt gut daran, sich offen und transparent zu verhalten. Ich erinnere nicht zuletzt an die Ergebnisse der Analyse der Verkehrssicherheit für Radfahrende an Darmstädter Kreuzungen. Demnach verursachten die Radverkehrsunfälle in den fünf Jahren 2016-2020 41 Mio. € volkswirtschaftliche Kosten

Den Darmstädtern liegt viel an einer engagierten Umsetzung der VISION ZERO[6] durch die Behörden der Stadt Darmstadt. Daher haben sie beim Thema Verkehrssicherheit einen berechtigten Anspruch an größtmöglicher Transparenz.

Ich fordere Sie ein weiteres Mal auf, die gewünschten Unterlagen vorzulegen. Des Weiteren fordere ich die Stadt Darmstadt auf, Vertreter einschlägiger Fachverbände der Nahmobilität (z.B. ADFC, VCD, Fuss e.V.) als beratende Mitglieder in die Unfallkommission aufzunehmen wie dies der erneuerte hessische Erlass zur Analyse von Straßenverkehrsunfällen vom 01.02.2024 als Möglichkeit einräumt.

Mit freundlichen Grüßen

Timm Schwendy


[1] Gült-Verz. 31001 610, StAnz 8-2009, S. 456. Hinweis: Am 1.02.2024 ist ein erneuerter Erlass in Kraft getreten. Darin heißt es zur Öffentlichkeitsarbeit abweichend von der bislang gültigen Fassung: „Die Unfallkommission stimmt sich über ihre gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit ab.“ Öffentlichkeitsarbeit ist damit nicht mehr obligatorisch. Die Öffentlichkeit wird in Hessen künftig noch weniger am Unfallgeschehen teilhaben können. Unfallstatistik kann damit noch weniger transparent gemacht werden als sie sowieso schon ist.

[2] Typ der Konfliktsituation, aufgeteilt auf 7 Situationen, z.B. Fahrunfall, Fehler beim Abbiegen, Unfälle mit ruhendem Verkehr

[3] #251122, Juni 2022: https://fragdenstaat.de/anfrage/sitzung-der-letzten-unfallkommission/ Direktlink zur Auskunft: https://fragdenstaat.de/anfrage/sitzung-der-letzten-unfallkommission/712346/anhang/251122voethinformationsfreiheit_konvertiert.pdf

Demnach hatte die Unfallkommission zuletzt 2015 getagt und zu diesem Zeitpunkt die Häufungsstellen von 2013 behandelt. Die erneute Aufnahme der Tätigkeit der Unfallkommission ist nur aufgrund von Bürgerbeschwerden beim Regierungspräsidium erfolgt.

[4] Im Zeitraum von 2016-2019 sind 12 (!!!) Abbiege- und Einbiege-Unfälle (Unfalltyp 2 und 3) mit Kfz und Radfahrenden registriert worden. In der Dreijahresbetrachtung sind 3 Unfälle mit Schwerverletzten geschehen.

[5] Von ca. April bis Dezember 2023 hatte man die Büsche direkt an der Fahrbahn am östlichen Rechtsabbieger entgegen der RASt zu hoch wachsen lassen. Erst Anfang Dezember wurden sie wieder zurückgeschnitten. Jedoch stellen weitere Pflanzungen zusätzliche Sichthindernisse dar, die bislang noch gar nicht gekürzt wurden. Gerade in Verbindung mit Zweirichtungsradwegen ist dies ein klarer Verstoß gegen die nach VwV-StVO geregelte Einhaltung der Vision Zero (Null Verkehrstote und Schwerverletzte).

[6] Vision Zero: Null Verkehrstote, null Schwerverletzte. Seit 2021 ist die Vision Zero als Aufgabe der Behörden auch Teil der VwV-StVO §1: „Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) regelt und lenkt den öffentlichen Verkehr. Oberstes Ziel ist dabei die Verkehrssicherheit. Hierbei ist die „Vision Zero“ (keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Personenschäden) Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen.“

1 Kommentar

  1. Der grüne Dezernent für Mobilität hat anscheinend ziemlich besch…eiden gearbeitet, jetzt könnte Herr Wandrey zeigen, dass er es besser kann. Mal sehen….

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