Der tote Winkel: Mythos oder Fakt?

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Über große gefährliche Fahrzeuge und kleine Verkehrsteilnehmer, die das Versagen von Fahrzeugherstellern, Staat und Unfallforschung kompensieren müssen

IN KÜRZE

Beschränkte Sichten aus Fahrzeugen, insbesondere aus Lkw, sind Ursache für viele schwere Unfälle mit Radfahrenden. Insbesondere betrifft dies Unfälle mit rechtsabbiegenden Fahrzeugen. Kfz-Fahrende sind dabei mit 91 % fast ausschließliche Unfallverursacher.[1] Begünstigt wurde dieses Risiko durch einen zunehmenden Lkw-Verkehr in den letzten Jahren.[2]. Für Radfahrende enden Rechtsabbiegeunfälle mit Lkw häufig tödlich. Zwischen 2013 und 2020 starben im Durchschnitt 33 Radfahrer*innen durch rechtsabbiegende Lkw oder Busse. Seitdem sind die Zahlen pro Jahr um etwa 1/3 zurückgegangen.[3] Bezogen auf die durchschnittliche jährliche Zahl der bei Unfällen zwischen 2014-2020 verstorbenen Radfahrenden macht diese Unfallkonstellation ca. 8 % aus.[4]. In den letzten Jahren – insbesondere seit Anfang des Jahrtausends – gab es von vielen Organisationen unterschiedliche Bemühungen zur Verringerung der Anzahl von Unfällen aufgrund mangelhafter Sichten aus großen Fahrzeugen. Dies betrifft jedoch fast ausschließlich Maßnahmen der Fahrzeugtechnik und der Verkehrserziehung. Dank intensiver Kampagnenarbeit verschiedener Organisationen ist der tote Winkel mittlerweile jedem Schulkind ein Begriff. Und trotzdem gibt es zu Unfällen durch dieses Risiko kaum belastbares Zahlenmaterial. Verbreitet werden viele Falschinformationen und Halbwahrheiten. Über wichtige Aspekte zu dem Thema wird gar nicht geredet.
Rund um den toten Winkel klärt dieser Beitrag auf, erweitert die Perspektive, rückt gerade, zeigt positive Entwicklungen. Er zeigt aber auch, dass vor allem Kinder vieles kompensieren müssen, was Fahrzeughersteller, Behörden und Unfallforschung in ihrer Verantwortung zur Unfallsicherheit nicht ernst genug nehmen. 

Inhalt

Kontroverse Debatte zum toten Winkel

Risiken durch den toten Winkel

  1. Unzureichende Sichten
  2. Hohe Abbiegegeschwindigkeit

Umgesetzte Maßnahmen zur Verbesserung der Sichtfelder bei Lkw

  1. Verbesserung der Fahrzeugtechnik
  2. Verbesserung der Infrastruktur
  3. Aufklärung der Verkehrsteilnehmende
  4. Weitere Maßnahmen

Fazit

______________

Kontroverse Debatte zum toten Winkel

Seit ca. 20 Jahren – besonders nach Einführung der Spiegelverordnung 2003 und vor Einführung der Verordnung zum Abbiegeassistenten 2019 (s.u.) – werden sehr kontroverse Ansichten zum toten Winkel, insbesondere bei Lkw, verbreitet. Während die einen intensiv vor den lückenhaften Sichtfeldern warnen, gehen andere davon aus, dass es die toten Winkel bei Lkw gar nicht mehr gibt. Woher kommt diese Kontroverse?

Was ist der tote Winkel?

Wie weit die Positionen dabei auseinanderlagen, zeigt schon die unterschiedliche Definition des toten Winkels. Im Folgenden ein Beispiel dazu von Verbänden, die den toten Winkel grundsätzlich als ein immer noch bestehendes Risiko sehen. 

Der ADAC versteht den Begriff „toter Winkel“ in der ursprünglichen Bedeutung, als Flächen, die gar nicht gesehen werden können:

„Im toten Winkel liegen jene Bereiche außerhalb des Fahrzeugs, die der Fahrer trotz der Spiegel nicht einsehen kann.“

ADAC[5]

Für den Spitzenverband der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen (DGUV) sind zusätzlich Bereiche, die nur schlecht eingesehen werden können, Teil der toten Winkel:

„Mit dem Begriff toter Winkel sind Bereiche rund um das Fahrzeug gemeint, die Fahrzeugführende nicht oder schlecht über direkte und/oder indirekte Sicht einsehen können.“

DGUV[6]

Kontroverse Ansichten

Einige Institutionen – u.a. das Bundesverkehrsministerium oder der ADFC – gehen davon aus, dass spätestens mit der Einführung der Spiegelnorm 2007 eine lückenlose Rundumsicht für Lkw-Fahrende sichergestellt ist. Aus dieser Perspektive passieren Unfälle durch „Übersehen“ nur noch aufgrund menschlichen Versagens, beispielsweise weil Lkw-Führende die Spiegel nicht richtig eingestellt hätten oder nicht achtsam sind. Eine solche Aussage aus einem Beitrag der Kollegen vom ADFC Landesverband Berlin dazu hat es sogar in den Wikipedia-Artikel zum toten Winkel geschafft: 

„Obwohl der tote Winkel zumindest bei LKWs nicht mehr nach vorne und zur Seite existiert, wenn die Spiegel richtig eingestellt sind, passieren weiterhin Rechtsabbiegeunfälle, weil LKW-Fahrer nicht alle Spiegel beim Abbiegen prüfen. Fälschlicherweise wird in diesem Zusammenhang oft davon gesprochen, dass sich Verkehrsteilnehmer im toten Winkel befanden, wenn es ein Bereich war, der nicht direkt, sondern nur durch Spiegel zu sehen war.“

Wikipedia[7]
Vor toten Winkeln warnende InstitutionenInstitutionen, die davon ausgehen, dass es bei Lkw keine toten Winkel mehr gibt 
ADAC[8]ADFC Berlin[9]
Runter vom Gas[10]ADFC Hamburg[11]
Polizei Hamburg[12] [13]Changing Cities[14]
Polizei Stuttgart[15]Polizei Hamburg[16]
DGUV[17]Wikipedia
DVR[18]Bundesverkehrsministerium[19]
Presse[20] 
Tabelle 1: Beispielhafte Institutionen, die vor toten Winkeln an Lkw warnen und Institutionen, die davon ausgehen, dass es sie nicht mehr gibt

Auf der anderen Seite gibt es die Gruppe, die immer noch vor toten Winkeln warnt und damit schwere Defizite bei Lkw-Sichten aufzeigt. Dazu gehören in erster Linie Organisationen, die primär den Autoverkehr auf ihrer Agenda haben, u.a. der ADAC, die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), die Welt der Kfz-Versicherungen wie die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) oder die Unfallforschung der Versicherer (UDV), der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR), die Verkehrswacht, die Presse, die Polizeien der Länder etc. (s. Tabelle 1)

Diese Kontroverse fördert eine große Wissenslücke zum toten Winkel auf beiden Seiten zutage. Das zeigt sich z.B. in der Tatsache, dass sich sogar die Polizei beim Thema uneinig ist (s. Tabelle 1). Die Polizei tritt immer wieder als Ausrichter von Maßnahmen der Verkehrserziehung in Aktion, wie dieser Twitter-Beitrag der Hamburger Polizei zeigt:

I1
(Quelle: Twitter, Account der Hamburger Polizei)

Keine 1,5 Jahre später schließt die gleiche Hamburger Polizei aber mit Verweis auf Experten der Berufsgenossenschaft die grundsätzliche Existenz der toten Winkel aus, obwohl sich in dieser Zeit rechtlich wie technisch nichts geändert hat: 

I2
(Quelle: Twitter, Account der Hamburger Polizei)

Wenn man sich die Historie der rechtlichen Grundlagen zur Verbesserung der Fahrzeugtechnik anschaut (s. nächstes Kapitel) und mit Blick auf die immer noch hohe Zahl von Unfällen, kann man beide Seiten verstehen. 

Für diejenigen, die den toten Winkel leugnen, ist es unverständlich, warum diese noch existieren sollten, wenn spätestens seit 2009 EU-weit 6 Spiegel an großen Lkw vorgeschrieben sind und die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) in §56 (1) verlangt, dass Fahrzeugführer mit vorgeschriebenen Spiegeln alle für sie wesentlichen Verkehrsvorgänge beobachten können.[21]

„Kraftfahrzeuge müssen (…) Spiegel oder andere Einrichtungen für indirekte Sicht haben, die so beschaffen und angebracht sind, dass der Fahrzeugführer nach rückwärts, zur Seite und unmittelbar vor dem Fahrzeug (…) alle für ihn wesentlichen Verkehrsvorgänge beobachten kann.“

§56 (1) StVZO 

Es ist zunächst logisch, aus dieser Vorschrift zu schließen, dass es an Lkw keine toten Winkel mehr gibt. Allerdings gibt es den Wortlaut in einer etwas abgeschwächten Form in der StVZO schon in der Fassung von 1988, zu einem Zeitpunkt, zu dem es noch gar keine 6-Spiegelrichtlinie gab, die toten Winkel also noch viel größer waren.

I3
(Quelle: § 56 der StVZO in der Fassung von 1988)

Ginge man davon aus, dass es seit 2007 keine toten Winkel mehr gibt, dann sind Formulierungen aus Pressemitteilungen der Polizei wie „Der Lkw-Fahrer konnte die Radfahrerin nicht sehen“ nicht nachvollziehbar. Wenn an der Technik vermeintlich alles passt, dann resultieren Kollisionen mit Lkw und ungeschützten Verkehrsteilnehmern ausschließlich aus dem Fehlverhalten von Lkw-Führenden. Als Fehlverhalten werden dann z.B. falsch eingestellte Spiegel, zugestellte Armaturenbretter, Handynutzung oder andere Unaufmerksamkeiten vermutet.

I4
(Quelle: NDR)

Da erlässt man technische Vorschriften für die Ausstattung von Lkw, die nicht funktionieren. Da gibt es Verordnungen für die Zulassung von Lkw, an die sich niemand hält. Da wird vor toten Winkeln gewarnt, die es gar nicht gibt. In Pressemitteilungen wird die Maschine zum handelnden Subjekt („Lkw überfährt Radfahrer“) und die Fahrer erhalten glimpfliche Strafen auf Grundlage von Einschätzungen von Sachverständigen, obwohl die Schuld doch nur beim Lkw-Fahrenden liegen kann, weil tote Winkel ja vermeintlich gar nicht mehr existieren. Es passt beim Thema toter Winkel nichts zusammen.

Es passt beim Thema toter Winkel nichts zusammen.

Die Position auf der anderen Seite, nämlich der Initiativen, die vor den toten Winkeln warnen, ist grundsätzlich ebenfalls verständlich. Die Tatsache, dass trotz Spiegeln und Vorschriften immer noch Menschen durch abbiegende Lkw sterben, führt zur richtigen Annahme, dass irgendetwas immer noch nicht stimmen kann und weitere Anstrengungen nötig sind, um die Sicherheit von ungeschützten Verkehrsteilnehmern zu verbessern.

Beim Engagement um den toten Winkel, appellieren beide Seiten – sowohl die Warnenden, als auch die Negierenden – jedoch fast ausschließlich an die Nutzer also die Verkehrsteilnehmer. Die Schuld bei einzelnen zu suchen, ist einfacher als sich mit mächtigen Institutionen auseinanderzusetzen. Beide Seiten erwarten sehr viel Verantwortung von Menschen in Stresssituationen. Es fällt offensichtlich schwer, zu akzeptieren, dass Menschen im Straßenverkehr Fehler machen – absichtlich oder unabsichtlich – und kognitiv eingeschränkt sind. Auf der anderen Seite bleibt die Verantwortung der Fahrzeughersteller, Straßenplaner und Behörden unerwähnt, obwohl dies ein umfassender Ansatz in der Verkehrssicherheit im Sinne der Vision Zero[22] wäre. 

Der Fokus auf das Verhalten Einzelner lenkt ab von anderen wichtigen Hebeln gegen die Risiken der toten Winkel wie z.B. einer Infrastruktur, die menschliche Fehler verzeiht. 

Welche Hebel das im Detail sind, zeigt das übernächste Kapitel, in dem u.a. bereits umgesetzten Maßnahmen dargestellt und bewertet werden.

Risiken durch den toten Winkel

Radfahrende und Fußgänger*innen sind insbesondere durch rechtsabbiegende Lkw gefährdet. Unfälle sind im Vergleich zu Unfällen mit Pkw selten, jedoch sind die Folgen für die Unfallopfer schwerwiegend. Als Hauptursachen für diese Unfälle sind vor allem zwei Risiken zu nennen:

  1. Unzureichende Sichten
  2. Hohe Abbiegegeschwindigkeit

1. Unzureichende Sichten

Das Sichtfeld von Kfz insbesondere von Lkw ist eingeschränkt. Es ist abhängig von vielen Parametern u.a. von der Größe der transparenten Flächen, dem Kabinendesign mit seinen statischen Elementen, den Spiegeln, der Größe der Fahrer*innen, etc.

Indirekte Sichten (Spiegelsichten)

Nicht zuletzt aufgrund der hohen Risiken, durch die ursprünglich großen toten Winkel neben dem Fahrzeug, wurde in den letzten Jahrzehnten vor allem die Optimierung dieser indirekten Sichten (Spiegelsichten) umgesetzt. 

Direkte Sichten (Fenstersichten)

Weniger intensiv hat man sich mit dem Thema direkte Sichten befasst, also der Sichten durch die transparenten Flächen der Fahrzeuge. Zwar gibt es schon länger Richtlinien für das Design von Fahrzeugfenstern, jedoch werden für Neuzulassungen erst 2028 von der EU eingeführte Vorgaben für die Verbesserung der direkten Sichten gültig. Das ist bedauerlich, da diese Sichten eine viel höhere Qualität bieten, als die Sichten über Spiegel, die verkleinert und verzerrte Spiegelbilder zeigen. Durch direkte Sichten wird ein Sichtkontakt der Verkehrsteilnehmenden deutlich vereinfacht, sodass auch Radfahrende und Fußgänger*innen die Chance haben, sich abzusichern (Vier-Augen-Prinzip).

Direkte Sichten werden zum einen verbessert durch die Optimierung des Kabinendesigns der Lkw, zum anderen aber auch durch die Führungsform der Radwege.

2. Hohe Abbiegegeschwindigkeit

Die Abbiegegeschwindigkeit wird in erster Linie durch die Gestaltung der Knotenpunkte gesteuert. Große Eckradien begünstigen eine hohe Abbiegegeschwindigkeit, kleine Eckradien verhindern, dass Kfz-Führende zu schnell abbiegen können. Das Design der Kreuzungen ist dabei viel effektiver als Vorschriften der Straßenverkehrsordnung (StVO, s.u.), für deren Einhaltung ein hoher Kontrollaufwand notwendig ist.

Umgesetzte Maßnahmen zur Verbesserung der Sichtfelder bei Lkw

Zur Verringerung von Tote-Winkel-Risiken sind drei Maßnahmenbereiche hervorzuheben: 

  1. Verbesserung der Fahrzeugtechnik
  2. Verbesserung der Infrastruktur
  3. Aufklärung der Verkehrsteilnehmenden

1. Verbesserung der Fahrzeugtechnik 

Um den Stand der Technik als Ergebnis der Verbesserungen bei der Fahrzeugtechnik besser nachvollziehen zu können, folgt zunächst ein Überblick über die verabschiedeten Rechtsvorschriften:

Rechtliche Vorschriften

In Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der EU-Charta der Grundreche heißt es: 

„Jede Person hat das Recht auf Leben.“ und „Jede Person hat das Recht auf körperliche … Unversehrtheit.“

Mit der langjährigen Duldung des erhöhten Gefährdungspotentials, das für ungeschützte Verkehrsteilnehmer*innen von Lkw ausgeht, verstoßen Staaten, die diese Lkw auf ihren Straßen zulassen, gegen dieses Grundrecht. Die Staaten und die EU sind dadurch schon lange in der Pflicht, entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Im vergangenen halben Jahrhundert (!) sind sukzessive folgende Vorschriften erlassen worden, um das Unfallrisiko durch Lkw zu verringern:

JahrVorschriftBeschreibungGültigkeit ab
  Spiegel und Seitenschutz 
197171/127/EWGRichtlinie zu indirekten Sichten durch Rückspiegel bei Kfz 
197777/649/EWGRichtlinie  zu Rundumsichten inkl. direkte Sichten bei Kfz 
198989/297/EWGRichtlinie zur Einführung des Lkw-Seitenschutzes 
20032003/97/EG6-Spiegel-Richtlinie zur Vergrößerung der Mindestsichtfelder bei Neufahrzeugen > 7,5 tJanuar 2007
20072007/38/EG6-Spiegel-Richtlinie zur Nachrüstung der BestandsfahrzeugeSpätestens März 2009
  Abbiegeassistent, direkte Sicht 
20192019/2144Verordnung[23] über u.a. Abbiegeassistent (UN-Regelung Nr. 151: Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung von Kraftfahrzeugenhinsichtlich des Totwinkel-Assistenten zur Erkennung von Fahrrädern)2024 für Neuzulassungen
  Anforderungen an Verbesserung der direkten Sichten (UN-Regelung Nr. 167)2028 für Neuzulassungen
Tabelle 2: EU-Richtlinien und Verordnungen zur Verbesserung der Sichten aus Lkw

Fahrzeugklassen nach EU 
M1Personenbeförderung ≤ 8 Plätze + Fahrer
M2> 8 Plätze, ≤ 5 t zGM
M3> 8 Plätze, > 5 t
N1≤ 3,5 t
N23,5 t – 12 t
N3≤ 12 t
Tabelle 3: Fahrzeugklassen nach EU
Regelungen zur Spiegeltechnik
71/127/EWG

Bereits 1971 regelte die EU, dass Fahrzeuge mit Rückspiegeln ausgestattet werden sollen. Vorgeschrieben waren damit mindestens 2 Spiegel (ein Innenspiegel und ein linker Außenspiegel oder zwei Außenspiegel).

2003/97/EG

Aufgrund der weiterhin hohen Unfallzahlen, reagierte die EU erst 2003 mit der Einführung der „Spiegel-Richtlinie“ 2003/97/EG, die zum Ziel hatte, die indirekten Mindestsichtfelder (Sichten über Spiegel) von Lkw zu vergrößern und damit die Zahl der Unfallopfer zu halbieren. Diese Richtlinie richtete sich an die Hersteller von großen Fahrzeugen wie Lkw und Bussen und schrieb für neu zugelassene Fahrzeuge ab dem 27.01.2007 vor, dass diese mit insgesamt 6 Spiegeln ausgestattet werden müssen, die fest definierte Sichtfelder abdecken. (s. Grafik 1)

2007/38/EG 

Die Richtlinie von 2003 wurde 2007 durch die Richtlinie 2007/38/EG für den Fahrzeugbestand ergänzt. Somit wurden Fahrzeughalter verpflichtet, alle von 2000-2007 zugelassenen Fahrzeuge ab 3,5 t mit den 6 Spiegeln nachzurüsten. 2009 ist die Frist zur Nachrüstung der Fahrzeuge abgelaufen. Seitdem müssen alle nach 2000 zugelassenen schweren Lkw im Besitz dieser Spiegel sein. Wenn man ein durchschnittliches „Verfallsdatums“ von Lkw von ca. 11 Jahren annimmt, dann kann davon ausgegangen werden, dass heute alle Lkw diese Spiegel besitzen.

Leider wurde keine detaillierte Unfallstatistik zu (Rechts-)Abbiegeunfällen durch Lkw geführt. Es deutet jedoch vieles darauf hin, dass mit diesen beiden Richtlinien das anvisierte Ziel der Reduktion der Unfallopfer nicht erreicht werden konnte. 

Zu den technischen Details der Spiegeltechnik s. unten.

Die direkte Sicht

Die Verordnung enthält auch Vorgaben für das Design der transparenten Flächen an der Fahrzeugkabine. Neufahrzeuge müssen diese erst ab 2028 erfüllen.[24]

Die EU-Kommission geht davon aus, dass durch diese Maßnahmen 550 Unfälle vermieden werden können. 

Regelungen zum Abbiegeassistenten
2019/2144

Als Reaktion auf vermutlich gering bleibende Effekte der Spiegeltechnik und weiterhin hoher Unfallzahlen, wurde – wieder Jahre später – die EU-Verordnung 2019/2144 u.a. zum Abbiegeassistenten eingeführt. Durch das Engagement des Bundesverkehrsministeriums wurde damit erreicht, dass ab Juli 2024 alle neu zugelassenen Fahrzeuge (Fahrzeugklassen M2, M3, N2 und N3; s. Tabelle 3) mit Fahrerassistenten ausgestattet sein müssen. Nicht erreicht wurde eine verpflichtende Nachrüstung von Bestandsfahrzeugen. (s. Grafik 1)

Zu den technischen Details zum Abbiegeassistenten s. unten.

Die Straßenverkehrszulassungsverordnung (StVZO)

Die StVZO schreibt seit mindestens 1988[25] vor, dass Fahrzeugführende mithilfe von Spiegeln alle seitlichen und rückwärtigen Vorgänge beobachten können. In der aktuellen StVZO ist in §56 zusätzlich der vorderseitige Bereich enthalten.

Die von der EU früh erlassenen Richtlinien der Fahrzeugausstattung hatten in erster Linie den Längsverkehr im Blick und nicht das Gefährdungsrisiko durch Abbiegevorgänge. Vorgaben für die Fahrzeughersteller werden im Transitland Deutschland auf europäischer Ebene gemacht, damit auch ausländische Fahrzeuge eingeschlossen sind. Diese Prozesse sind träge. Dennoch ist es nicht zu entschuldigen, dass es Jahrzehnte dauert, bis die Fahrzeughersteller durch entsprechende Regelungen in die Pflicht genommen wurden, funktionierende Sicherheitstechnik als Standard zu verbauen. Dass jahrzehntelang Lkw entgegen §56 der StVZO ohne Konsequenzen zugelassen wurden, ist nicht nachvollziehbar.

Dass jahrzehntelang Lkw entgegen §56 der StVZO ohne Konsequenzen zugelassen wurden, ist nicht nachvollziehbar.

Die Straßenverkehrsordnung (StVO)

Seit der Novelle der StVO von 2020 müssen Lkw über 3,5 t innerorts in Schrittgeschwindigkeit abbiegen (§9 (6) StVO)[26]. Ebenfalls wurde das Parkverbot für bessere Sichtfelder an Kreuzungen auf 8 m ausgeweitet, wenn bauliche Radwege vorhanden sind.[27]

Die in der StVO hinzugekommene Aufweitung des Parkverbots, stellt zwar eine Verbesserung für die Sichtbarkeit von Radfahrenden in Kreuzungsbereichen dar. 8 m sind jedoch auch gemäß der verbindlichen Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen (RASt) nicht ausreichend, um das notwendige Sichtfeld zu garantieren. Die Regelung zum Abbiegen in Schrittgeschwindigkeit, ist ein wichtiger Schritt, jedoch für die Praxis nicht ausreichend. Die Einhaltung der Pflicht wird in der Regel nicht oder viel zu selten überprüft. Effektiver sind bauliche Maßnahmen wie kleine Eckradien oder Kreisverkehre, die es erst gar nicht ermöglichen, schnell abzubiegen. (s. Maßnahmen der Infrastruktur)

Maßnahmen der Fahrzeugtechnik

Mit den oben dargestellten Richtlinien und Verordnungen sollten auf internationaler Ebene neue sichere Standards für die Fahrzeughersteller gesetzt werden. Die Auswirkungen dieser Vorschriften werden im Folgenden erklärt:

Neben kleineren nur teilweise umgesetzten Maßnahmen wie Fresnellinsen, seitl. Fahrzeugrichtungsanzeiger und dem 1989 eingeführten Seitenschutz, zählen Spiegeltechnik und Abbiegeassistent zu den wichtigsten technischen Maßnahmen. Die Einführung der Technik zur Verbesserung der indirekten Sicht (6-Spiegel-Technik) war ein Meilenstein zur (theoretischen) Verbesserung der Rundumsichten.  

Die Spiegeltechnik

Seit 2009 müssen alle fast größeren Lkw mit sechs Spiegeln ausgestattet sein. Diese müssen definierte Sichtfelder links, rechts und vor dem Fahrzeug darstellen. Neben den beiden seitlichen Rückspiegeln, gehören dazu zwei Weitwinkelspiegel, der Anfahrspiegel unmittelbar rechts neben der Fahrzeugkabine und der Frontspiegel, der den Nahbereich vor dem Fahrzeug zeigt.

G1 Spiegel AA Regel
Grafik 1: Flächen auf dem Boden, die bei allen Lkw (Zulassung ab 2000) seit 2009 durch 6 Spiegel mindestens sichtbar sein müssen. Gruppe II: Seitenspiegel links und rechts; IV: Weitwinkelspiegel links und rechts; V: Anfahrtsspiegel; VI: Frontspiegel; Grüne Fläche: Detektionsfläche Abbiegeassistent – Richtlinie 2003/97/EG, Verordnung 2019/2144, UN-Regelung Nr. 151

In Verbindung mit den kaum geregelten direkten Sichten durch die transparenten Flächen der Fahrerkabine ergeben sich darauf Rundumsichten, die größer als bislang waren, jedoch abhängig vom Fahrzeugdesign u.a. keineswegs lückenlos. Um dazu genaue Daten zu erhalten, hat Darmstadt fährt Rad Unterlagen zu Rundumsichten direkt bei den Fahrzeugherstellern angefragt. Alle Anfragen wurden negativ beantwortet. Die Studie Summerskill (2015) [33] aber hat auf Basis von digital erfassten Fahrzeugkabinen von mehreren gängigen Lkw-Modellen die Rundumsichten untersucht. Die Studie zeigt, dass es auch nach Einführung der Spiegeltechnik weiterhin tote Winkel gibt. Schmale Flächen hinter den Karosseriesäulen, Einbauten und Spiegeln, aber auch größere hinter dem Fahrzeug und links und rechts von der Fahrzeugkabine blieben weiterhin unsichtbar wie folgende Grafiken zeigen, die Darmstadt fährt Rad auf Basis von Daten der Studie erstellt hat. Summerskill fast zusammen:

„All standard vehicle configurations have blind spots which can hide VRUs from the driver’s direct vision.“

Summerskill et al. (2015)
G2 TW Boden - alle Modelle
Grafik 2: Tatsächliche tote Winkel (rosa) nach Einführung der Spiegeltechnik bei unterschiedlichen Lkw-Modellen.
G2a DAF-XF Boden
Grafik 2a: Vergrößerung am Beispiel DAF-XF. Gelb dargestellt sind die indirekten Sichten über Spiegel, grün sind die direkten Sichten über Fensterflächen. Die dargestellten Flächen sind Flächen auf dem Boden, d.h. Objekte über dem Boden sind auch innerhalb der rosa Flächen sichtbar. Siehe dazu folgende Grafiken. (Grafiken erstellt nach Daten der britischen Studie Summerskill (2015). Weil Rechtslenker-Lkw in Studie untersucht wurden, wurden die Grafiken gespiegelt.) 

Für die Lkw Modelle DAF-XF und Mercedes Actros wird die Rundumsicht unter Berücksichtigung von Objekten über dem Boden in folgender Grafik dargestellt. Diese Lkw wurden bei einem Verkehrsversuch und einer Computersimulation durch die UDV verwendet (mehr dazu s. Verbesserung der Infrastruktur). Gerade das Modell DAF-XF hat nach Summerskill vergleichsweise schlechte direkte Sichten. Während der durchschnittliche männliche Radfahrer beim Mercedes Actros schon ab ca. 1,30 m neben dem Lkw direkt sichtbar wird, ist dies beim DAF-XF erst ab ca. 1,8 m der Fall. (s. Tabelle 4)

G3 DAF-XF ü Boden ABC
Grafik 3: Sichten auf Objekte über dem Boden und Rest-tote-Winkel (rosa), beispielhaft bei einem DAF-XF Lkw: Beispielhaft für die Sicht aus dem Beifahrerfenster: A: Bei 1,755m großem Radfahrer: von Kopf bis Bauch; B: von Bauch bis Boden; C: Boden (Gelb: indirekte Sichten nach EU-Norm; Grün: Direkte Sichten; Blau: Durch den Abbiegeassistenten zusätzlich erfasste Fläche); Weiß gestrichelt: Vorgeschriebene sichtbare Bodenfläche. Die dargestellten grünen und blauen Radfahrer sind gerade so nicht direkt sichtbar. Weiter rechts des Fahrzeugs werden mehr Körperteile durch die Fenster sichtbar. Dieses Modell hat die Unfallforschung der Versicherer (UDV) in der Computersimulation verwendet.
G4 MERC ACTROSü Boden ABC
Grafik 4: Sichten auf Objekte über dem Boden und Rest-tote-Winkel (rosa) für das Modell Mercedes Actros. Dieses Modell hat die UDV in dem Verkehrsversuch verwendet. Abhängig vom Fahrzeugmodell ist auf der Beifahrerseite der Winkel zwischen der orthogonalen Achse durch die Augenlinie und des rechten Fensterrandes unterschiedlich groß. Der Winkel des Mercedes Actros ist doppelt so groß wie der des DAF-XF. Seine Größe hat Einfluss auf die Sichtbarkeit von Radfahrenden.

Summerskill zeigt, dass die Spiegelrichtlinie die Risiken durch tote Winkel lediglich reduziert, jedoch niemals ganz eliminiert hat. Somit ist auch das anfangs erwähnte Zitat aus dem Wikipedia-Beitrag nicht korrekt, wie die Beschreibung der Richtlinie zeigt: 

„Zur Vermeidung derartiger Unfälle hat die Europäische Union Maßnahmen zur Reduzierung des „toten Winkels“ im unmittelbaren Umfeld der Fahrzeuge erlassen.“

Zitat zur Beschreibung zur Richtlinie 2003/97/EG[28]

Es gibt zwar eine niederländische Entwicklung von Sonderspiegeln („Dobli-Spiegel“), die in der Lage sind, auch die letzten toten Winkel rechts des Fahrzeugs zu eliminieren. Gesetzliche Vorschriften dafür gibt es jedoch nicht.

Eine Reduktion der Rechtsabbiegeunfälle mit ungeschützten Verkehrsteilnehmern durch die seit spätestens 2009 geltende 6-Spiegel-Technik, kann aufgrund fehlender Zahlen nicht belegt werden. Dass nicht einmal seit der Spiegelnorm 2003 eine dezidierte Statistik geführt wird ist überraschend, da man davon ausgehen muss, dass eine solche Statistik Grundlage für jegliches Handeln sein sollte. Ein äußerst mangelhaftes Monitoring dieser Maßnahme. 

Lediglich in der oben erwähnten Internetsammlung von tödlichen Radunfällen gibt es ab 2013 Zahlen auf Basis von Presseartikeln. Demnach starben in der Zeit von 2013-2020 im Durchschnitt 33 Radfahrende durch rechtsabbiegende Lkw. Alle Angaben der Zeit vor der Jahrtausendwende oder bis 2013 sind nicht verlässlich oder vergleichbar.[29] Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Unfälle nicht signifikant reduziert werden konnte. 

Die immer noch hohen Unfallzahlen nach Einführung der Spiegeltechnik, zeigen, dass die Sicherheitstechnik nicht ausreichend war. Das Sicherheitskonzept der 6 Spiegel erwartet unmenschliche Fähigkeiten von Lkw-Führenden. Diese müssen nicht nur in wenigen Sekunden ca. 8-fach verkleinerte[30] und verzerrte Spiegelbilder von Radfahrenden in bis zu vier Spiegeln wahrnehmen (Rechtsabbiegefall), sondern dann auch entsprechend richtig handeln. Die UN-Regelung 167 führt die Defizite der Spiegeltechnik und deren Inkompatibilität zum menschlichen Sehen weiter aus.[31]

G5 Sicht aus LKW Kabine_Grafik
Grafik 5: Die vier zu kontrollierenden Spiegel auf der Beifahrerseite des Lkw. Die Fläche der Teile des durch die Fenster direkt sichtbaren Radfahrers (hellblau) ist achtmal größer als die Summe der Fläche der verzerrten Spiegelbilder des Radfahrers (Sicht aus einem Scania Lkw)

Voraussetzung dafür, dass die Spiegel überhaupt die vorgesehenen Flächen zeigen, ist die richtige Einstellung der Spiegel. Auch hier hängt die Wirksamkeit der Maßnahme von einzelnen Menschen ab, ohne deren Kontrolle die Sicherheitstechnik nicht funktioniert. Die Behäbigkeit der Technik wird durch ein Angebot der Berufsgenossenschaften deutlich. Diese vertreiben Folien für die Einrichtung von Spiegeleinrichtungsplätzen für die Speditionen. Diese Planen gleichen einem komplexen Laborversuchsaufbau und sind für die alltägliche Praxis von Speditionen völlig ungeeignet.

I5
Die Berufsgenossenschaft vertreibt Planen für die Einstellung von Spiegeln bei Lkw. (Quelle: BG Verkehr)

In keinem Betrieb und auf keiner Baustelle würde ein Sicherheitskonzept wie die Lkw-Spiegeltechnik den Kontrollen der Berufsgenossenschaften standhalten. Im Straßenverkehr gelten offensichtlich andere Maßstäbe.

G6_STOP-Prinzip
Grafik 6: S-T-O-P Prinzip zur betrieblichen Gefahrenabwehr und die Übertragbarkeit auf den Straßenverkehr (Vergleich Betrieb, Straße)anpassen. Das Prinzip zeigt, dass Maßnahmen der Technik und Infrastruktur deutlich effektiver sind als Maßnahmen der persönlichen Schutzausrüstung (PSA). Im Straßenverkehr wird genau anders herum gedacht, und der PSA mehr Gewicht zugemessen.

Das Sicherheitskonzept Spiegeltechnik wurde ohne den Faktor Mensch (Humanfaktoren[32]) entwickelt, denn es ignoriert, dass die menschliche Aufmerksamkeit ihre Grenzen hat und Menschen im Straßenverkehr Fehler machen oder sich falsch verhalten. Technik sollte jedoch dabei helfen, dass solche Fehler kompensiert werden und nicht zu schwerwiegenden Unfällen führen („fehlerverzeihende Infrastruktur“). Gegenüber teuren Kamerasystemen, die es auch damals schon gab, oder der Anpassung der Fahrzeugkabinen zur Optimierung der direkten Sichten, waren geringe Kosten wichtiger, als wirklich funktionierende Systeme, die auf die Nutzer zugeschnitten sind.

Direkte Sicht

Während des langwierigen Prozesses der Etablierung der Spiegeltechnik, hat man die Vorteile der direkten Sichtenhingegen völlig aus den Augen verloren. Erst mit der UN-Regelung Nr. 167 wurden Regeln zu den Qualitäten der transparenten Flächen an Lkw vorgegeben, die allerdings erst 2028 gelten. Im Zuge der Fahrzeugentwicklung hat die Studie Summerskill schon 2015 empfohlen, direkte Sichten vor Spiegelsichten zu priorisieren. So könne die direkte Sicht durch zusätzliche verglaste Flächen verbessert werden.[33] Lkw mit niedrigem Fahrerhaus (low entry cabs, LEC) haben nach der Studie die besten Rundumsichten (z.B. Mercedes Econic LEC). 

Höchstwahrscheinlich als Antwort auf die erschreckenden Ergebnisse der Studie hat London bereits 2021 den sogenannten Direct Vision Standard eingeführt. Demnach müssen Lkw einen gehobenen Mindestsicherheitsstandard in Bezug auf die direkte Sicht und andere Sicherheitsmaßnahmen aufweisen, sonst dürfen sie die Stadt nicht befahren. Bei Verstößen drohen hohe Strafen. 

Der Abbiegeassistent

Der Abbiegeassistent ist die logische Konsequenz aus der Feststellung, dass die Spiegeltechnik kein wirklich gut durchdachtes Sicherheitskonzept war. Zu abhängig sind dabei ungeschützte Verkehrsteilnehmer vom Verhalten der Kraftfahrzeugfahrenden. 

Es wird oft behauptet, Abbiegeassistenten eliminieren den toten Winkel. Wenn man diesen als Fläche begreift, in denen ungeschützte Verkehrsteilnehmer gar nicht gesehen werden können, dann ist dies nur für eine kleine Flächen von 1 – 5 qm (abhängig vom Lkw-Modell) zutreffend (s. Grafik 7 und Tabelle 4). Im Durchschnitt sind 90 % der Flächen, die von den Assistenten erfasst werden (Summe 28,60 qm), bereits über die Spiegel sichtbar. Abbiegeassistenten verkleinern die toten Winkel kaum, sie kompensieren vor allem die Defizite der 6-Spiegeltechnik (Fehleranfälligkeit).

Abbiegeassistenten verkleinern die toten Winkel kaum, sie kompensieren vor allem die Defizite der Spiegeltechnik.

G7 Volvo
Grafik 7: Beispiel Volvo FH N3: Tote Winkel (rosa) auf dem Boden. Fläche (blau), die zusätzlich zu den indirekt und direkt sichtbaren Flächen durch den Abbiegeassistenten erfasst wird. Die Größe der Fläche variiert ca. zwischen 1 -5 qm, je nach untersuchten Fahrzeugmodell der Studie Summerskill (2015). Im Durchschnitt sind ca. 90 % der durch Abbiegeassistenten detektierten Fläche auch über Spiegel sichtbar. (s. folgende Tabelle). Weiß gestrichelt: Vorgeschriebene sichtbare Bodenfläche. 
T4
Tabelle 4: Rundumsichten gängiger Lkw-Modelle nach Summerskill (2015). 

Laut einem Test des ADAC von 2021 funktionieren Abbiegeassistenten nicht in jedem Fall perfekt. Von 9 getesteten Systemen, waren 4 mangelhaft. Nur ein System kann Radfahrer in 6 m Abstand ohne Fehlermeldungen orten[34]. Bei den übrigen liegt der Abstand unter 5 m. Für Kreuzungen mit weiter abgesetzten Furten sind Abbiegeassistenten also nicht entwickelt worden. In dem Verkehrsversuch der UDV in Bezug auf abgesetzte Radverkehrsfurten, stellte Siegfried Brockmann fest, dass der Abbiegeassistent für „normale“ Kreuzungen konstruiert worden sei, da die Geräte dort sicher warnen. Mit normalen Kreuzungen meint der Leiter der UDV Kreuzungen mit fahrbahnnahen Radwegen. Die UDV ignoriert fatalerweise, dass es etliche Kreuzungen im deutschen Bestand gibt, bei denen der Radverkehr im Abstand geführt wird und dass es sogar in der ERA Empfehlungen dazu gibt (u.a. Absetzungen an Einmündungen, Kreisverkehre). Die UDV hat verwirkt, auf dieses Defizit der Abbiegeassistenten hinzuweisen und zu fordern, die Technik entsprechend zu optimieren, damit sie an allen Kreuzungsformen funktionieren. Mehr dazu s. Maßnahmen der Infrastruktur.

Abbiegeassistenten funktionieren also vorwiegend an Kreuzungen, an denen Radfahrende fahrbahnnah geführt werden. Der Ort neben den Lkw ist jedoch nach Untersuchungen nicht nur der unfallträchtigste Ort, an dem Radfahrende keine Chance haben bei einem Fahrfehler des Lkw-Fahrers auszuweichen.[35] Die Nähe zu Lkw wird zusätzlich auch von der Mehrheit der Radfahrenden als bedrohlich empfunden. Die Folge ist, dass an solchen Kreuzungen zum Leidwesen der Fußgänger*innen vermehrt auf Gehwegen gefahren wird oder Strecken mit diesen Kreuzungen ganz vermieden werden.[36]

Weil einige EU-Mitglieder die Nachrüstung des Lkw-Bestandes durch Abbiegeassistenten in den Vorschriften ablehnten, hat das Bundesverkehrsministerium unter Scheuer eine Förderung für den Einbau von Abbiegeassistenten in bereits zugelassenen Lkw eingeführt. Diese Förderung gab es auch unter Verkehrsminister Wissing und gibt es auch 2025 immer noch. Es werden aktuell maximal 80 % oder 1.500 € gefördert. Kosten, die Steuerzahlende begleichen müssen. Die Kosten für gute bis befriedigende Systeme inkl. Einbau betragen ca. 3.400 – 8.400 € (abzgl. 1.500 € für die Förderung).[37] Zudem hat die Bundesregierung Sicherheitspartnerschaften mit Unternehmen abgeschlossen, die sich verpflichten, den Assistenten nachzurüsten.

Es ist nicht zu erwarten, dass Sicherheitspartnerschaften einen großen Einfluss auf Unfallzahlen haben. 7 Jahre später sind gerade einmal ca. 250 Sicherheitspartner (davon nur 144 Unternehmen wie Supermärkte, Speditionen, etc.) zusammengekommen. Zum Vergleich: Gesamtzahl der Speditionen 2023 bundesweit: 14.700. Es hat sich also nicht einmal 1 % der Speditionen freiwillig gemeldet. Konsequenzen, die sich aus diesen Partnerschaften ergeben, sind überschaubar, der Einbau von Abbiegeassistenten ist nicht an Fristen geknüpft („so schnell wie möglich“). Zudem müssen keine Abbiegeassistenten mit allgemeiner Betriebserlaubnis genutzt werden, es sei denn, sie sollen gefördert werden. Die Effizienz solcher Maßnahmen auf Basis von Freiwilligkeit ist der Erfahrung nach nie ausreichend. Die Sicherheitspartnerschaften sind in erster Linie gut für die Öffentlichkeitsarbeit des aktuellen Bundesverkehrsministeriums und der Speditionsunternehmen.

Es konnten keine aktuellen Zahlen der bereits mit Abbiegeassistenten ausgestatteten Neu- bzw. Bestandsfahrzeugen gefunden werden. Auch Anfragen an das Verkehrsministerium oder die Unfallforschung blieben ergebnislos. Ebenso wenig liegen bereits Zahlen zur Wirksamkeit der Systeme vor. Ob die Systeme wirklich zur Vision Zero beitragen können, bleibt abzuwarten.

Das durchschnittliche „Verfallsdatum“ von Lkw ist ca. 11 Jahre. 2001 waren ca. ¼ aller Fahrzeuge älter als 10 Jahre, 10 % waren älter als 15 Jahre. Aus diesen Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass eine 90 % ige Ausstattung der zugelassenen Lkw erst 2039 gegeben ist. Bis dahin, fahren auf den Straßen immer noch Fahrzeuge, die die Vorgaben nach §56 StVZO nicht einhalten.

Die Unfallforschung der Versicherer ging 2016 davon aus, dass durch die Abbiegeassistenten 42,8 % der Unfälle mit Radfahrenden und Fußgänger*innen reduziert werden können. Die Unfallzahlen gingen zumindest in die Richtung, denn seit 2021 kam es jährlich zu 16-21 für Radfahrende tödliche Unfälle mit rechts abbiegenden Lkw. Dass dies unmittelbar mit dem Abbiegeassistenten zu tun hat, ist aber nicht möglich, da dieser bei Neufahrzeugen erst 2024 verpflichtend wurde und eine Verbreitung auch im Fahrzeugbestand noch lange nicht zu erwarten ist. 

2. Verbesserung der Infrastruktur

Einige Organisationen (u.a. ADFCChanging Cities, DVR) aber auch die Unfallforschung  (Niewöhner (2004), Kolrep-Rometsch (2010)) haben neben der Verbesserung der Fahrzeugtechnik auch die Anpassungen der Infrastruktur zur Verbesserung der Sicht auf Radfahrende und Fußgänger*innen an Kreuzungen empfohlen und gefordert. Dazu gehören neben kleineren Maßnahmen wie fest installierte Spiegel und Markierungslösungen aber auch abweichende Kreuzungsdesigns mit angehobenen Kreuzungsbereichen oder abgesetzten Furten. 

Generelle Mängel der Infrastruktur

Einer der größten Risikofaktoren bei Abbiegeunfällen durch Lkw ist neben der Fahrzeugtechnik die defizitäre Infrastruktur. Eine Mehrzahl von Kreuzungen in Deutschland ist für die Flüssigkeit des Autoverkehrs, jedoch nicht im Sinne der Sicherheit aller gebaut worden. So begünstigen große Eckradien hohe Geschwindigkeiten beim Abbiegen, unübersichtliche Kreuzungen führen zu Unsicherheiten, Sichthindernisse versperren die Sichten zwischen den Verkehrsteilnehmenden. Infrastruktur kann so gestaltet werden, dass Fehler im Straßenverkehr nicht zu schwerwiegenden Unfällen führen.

Bauliche Maßnahmen sind nachhaltiger und effizienter als die Überprüfung der Einhaltung von Verkehrsregeln. Das in die StVO-Novelle aufgenommene aufgeweitete Parkverbot an Radwegen ist z.B. ein Symptom von mangelhafter Infrastruktur. Wird ein Knotenpunkt so gestaltet, dass man gar nicht im Kreuzungsbereich parken kann, erübrigt sich Gesetz und Ahnung. Das gleiche gilt für die neue Vorschrift zum Abbiegen in Schrittgeschwindigkeit. Ist der Eckradius klein, kann der Lkw-Fahrer nicht schnell abbiegen. 

Obwohl man von den Defiziten bestehender Kreuzungen weiß, werden Bestrebungen zur Einführung sicherer Kreuzungsdesigns von einigen Organisationen seit Jahren erfolgreich blockiert, ohne funktionierende Alternativen anzubieten. S. dazu die Blockade der UDV oder der Forschungsgesellschaft für Straßenverkehrswesen (FGSV) unter dem Thema Kreuzungsdesign.

Was ganz dringend fehlt, sind verpflichtende Sicherheitsaudits, um die Baulastträger zu zwingen, auch Instandhaltungsmängel wie verschlissene Fahrbahnmarkierungen o.ä. zeitnah zu beheben. Viele Verbesserungen lassen sich auch mit wenig Geld nachträglich umsetzen.

Kreuzungsdesign 

Abgesetzte Radfurten (geschützte Kreuzungen)
G8_Schutzkreuzung Ecke_abgesFurten
Grafik 8: Schema einer geschützten Kreuzung mit Markierung von abgesetzten Furten

Die Niederländer bauen sie seit Jahrzehnten erfolgreich, und etliche Studien haben sich damit beschäftigt: Kreuzungen mit abgesetzten Radverkehrsfurten: sogenannte geschützte Kreuzungen. 

Wie in dem Buch Sichere Kreuzungen – Die blaue Reihe[38] dargestellt, ist dieses Kreuzungsdesign auch Teil deutscher Regelwerke wie der ERA 2010 und deren Vorgängern.[39]   

I6_FGSV
Musterlösung einer ganzen geschützten Kreuzung in den Empfehlungen für Planung, Entwurf und Betrieb von RVA_FGSV (1982)

In den 60-80er Jahren wurde der Radverkehr vorwiegend auf getrennten Radwegen geführt. Viele dieser Wege wurden verdeckt durch ruhenden Verkehr oder Vegetation, was besonders im Bereich von Knotenpunkten dazu führte, dass Radfahrende aufgrund der Sichthindernisse nicht ausreichend gesehen werden konnten. Die Autorenarbeitskreise der FGSV schlossen daraus, dass es sicherer sei, den Radverkehr fahrbahnnah zu führen. In folgenden Regelwerken wurde daher empfohlen, Radfurten im Kreuzungsbereichen abweichend von bisherigen Musterlösungen ohne Abstand von der Fahrbahn anzulegen, sie ganz im Gegenteil vor der Kreuzung aus dem Seitenraum an die Fahrbahn zu führen. Radfahrende tauchen unvermittelt vor der Kreuzung „wie aus dem Nichts“ auf, sie werden an diesen Kreuzungen jedoch nur indirekt über Spiegel gesehen. Die Risiken, Radfahrende auf diese Weise zu übersehen, wurden weiter oben dargestellt. 

G9_Vergleich Furtabsetzung NE-DE
Grafik 9: Im Gegensatz zur üblichen Wegschwenkung in den Niederlanden, lautet die Empfehlung in Deutschland, Radwege vor der Kreuzung an die Fahrbahn zu führen. Dadurch sind Radfahrende auf der Strecke meist hinter parkenden Autos versteckt, vor der Kreuzung werden sie u.U. zu spät erkannt, sind nur indirekt über eine defizitäre Spiegeltechnik sichtbar und haben selbst keine Chance auszuweichen, wenn sie übersehen werden.

Der Entscheidungsprozess innerhalb der Arbeitsgruppe der FGSV wird im Kommentar zur ERA 1982 deutlich.[40] Neben den Sichthindernissen werden noch andere Gründe aufgezählt, die aus Sicht der Arbeitsgruppe gegen die abgesetzten Furten sprechen. Diese Entscheidung wurde jedoch ohne ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse getroffen, denn die eigentliche Geometrie dieser Führung wurde bis 1982 und auch Jahre danach nie ausreichend untersucht. Das eigentliche Problem der Führung des Radverkehrs auf der Strecke vor der Kreuzung hinter Parkständen wurde hingegen zu wenig hervorgehoben.

Mit dem Aufkommen der Radentscheide ab 2016 – den Interessenvertretern für Noch-nicht-Radfahrende – stieg auch der Wunsch nach baulich getrennter Radverkehrsführung und einige Zeit später auf Initiative der Radentscheide, des ADFCund Darmstadt fährt Rad wurde wenig später auch die Forderung nach fahrradtauglichen Kreuzungen laut, bei denen Radfahrende weitgehend auf geschützten Flächen geführt werden. Die Darmstadt fährt Rad-Untersuchung zu den Lkw-Sichten von 2020 wurde vom Hamburger Planungsbüro ARGUS aufgegriffen, die Ergebnisse von Darmstadt fährt Radkonnten damit dem Grunde nach bestätigt werden und wurden in der Zeitschrift Straßenverkehrstechnik veröffentlicht.

Diese mag wohl der Weckruf gewesen sein, der 2020 auch die Unfallforschung in Form der UDV wieder auf die Bühne brachte, die bis dahin zum Thema fahrradfreundliche Kreuzungen nicht gerade mit Ideen geglänzt hat. Die UDV führte daraufhin einen Feldversuch mit einem Lkw durch, sowie eine Computersimulation, um die Sichtbarkeit von Radfahrenden aus Lkw auf abgesetzten Radwegen zu überprüfen. Aus diesen Experimenten folgerte der Leiter der UDV, Siegfried Brockmann: „Die Kreuzung funktioniert nicht, und der Assistent funktioniert auch nicht.“ 

Das Büro ARGUS hat den Feldversuch mit dem Mercedes-LKW begleitet und die Durchführung wie folgt bewertet: „…es sich beim Testaufbau und seiner Interpretation um eine zu starke Vereinfachung mit nicht ausreichend differenzierten Schlussfolgerungen handelt.“. Darmstadt fährt Rad hatte 2020 die Versuchsaufbauten und die Computersimulation einer Prüfung unterzogen.

Darmstadt fährt Rad greift die Versuche hiermit nochmals auf und stellt diese Ergebnisse detaillierter dar. Bei einer Fahrt mit einer üblichen Fahrweise (Schleppkurve Fahrweise 1) ist demnach der Radfahrer im Fall des Feldversuchs mit einem Mercedes Actros die meiste Zeit in der Heranfahrt zur Kreuzung im Weitwinkelspiegel sichtbar. Lediglich in einem kurzen Moment befindet er sich im toten Winkel (ca. 1 s vor der Kollision). Danach sind bei einem Radfahrenden von 1,755 cm Körpergröße (britischer Durchschnittsmann) Teile des Kopfes bis zum Bauch im Fenster sichtbar, ebenso in den Frontspiegeln und erreicht den Detektierbereich des Abbiegeassistenten. 

G12 Fahrlinie MER ACTROS
Grafik 12: Nachstellung des Feldversuchs der UDV mit einem Mercedes Actros. Blau dargestellt ist die Fahrlinie des Radfahrers in Bezug auf die Lkw-Kabine im jeweiligen Moment. Der dargestellte Radfahrer befindet sich 1 s von der Kollision entfernt. Dargestellt ist die Position der geschützten Kreuzung mit einer Furtabsetzung von 5,5 m im Moment 1 s vor der Kollision.

Bei der Nachstellung der Computersimulation mit einem DAF XF Lkw ist der Radfahrer ebenfalls in der Heranfahrt im Weitwinkelspiegel sichtbar. Ebenfalls ca. 1 s vor der Kollision befindet er sich kurz im toten Winkel, taucht dann im Fenster auf, kann in den Frontspiegeln gesehen werden und könnte auch vom Abbiegeassistenten erfasst werden. Bei anderen Fahrweisen, z.B. einem weiteren Ausscheren des Lkw, wäre der Radfahrer immer sichtbar. Im Ergebnis zeigen beide Versuche, dass eine geringe Vergrößerung der Detektionsflächen der Spiegel und Abbiegeassistenten die toten Winkel maßgeblich verringert hätten, sodass Radfahrende an Kreuzungen mit abgesetzten Furten durchgängig sichtbar wären.  

G13 Fahrlinie DAF XF
Grafik 13: Nachstellung der Computersimulation der UDV mit einem DAF XF. Rot dargestellt ist die Fahrlinie des Radfahrers in Bezug auf die Lkw-Kabine im jeweiligen Moment. Der dargestellte Radfahrer befindet sich 1 s von der Kollision entfernt. Dargestellt ist die Position der geschützten Kreuzung mit einer Furtabsetzung von 5 m im Moment 1 s vor der Kollision.

Es ist festzuhalten, dass die UDV die Versuchsparameter so gewählt hat, dass ausschließlich ein Worst-Case-Szenario gezeigt wird, welches sich aber keineswegs allgemein negativ auf die abgesetzte Führung übertragen lässt. Kleinste Änderung der Parameter führen schon dazu, dass die Sichten verbessert werden. Die Schlussfolgerungen der UDV widersprechen den genannten Untersuchungen, älteren internationalen und nationalen[41] Studien sowie der niederländischen Praxis. Die BASt-Studie Niewöhner (2004) sieht z.B. die Absetzung der Furten als eine gute Lösung, die Sichtbarkeit von Radfahrenden aus Lkw zu verbessern. UDV und FGSV haben diese Studien nicht berücksichtigt.

I7_BASt Niewöhner
Vorschlag zur Führung des Radverkehrs zur Vermeidung von tote-Winkel-Unfällen durch Optimierung der direkten Sicht. Niewöhner (2004)

Der ADFC bezeichnete 2020 den Verkehrsversuch der UDV als „fragwürdig“, worauf diese wiederum eine Gegendarstellung veröffentlicht. 

Es bleibt offen, warum die UDV als eine wissenschaftlich arbeitende Organisation bei der Umsetzung der Verkehrsversuche so ungewöhnlich unprofessionell vorging. Die Durchführung des Feldversuchs ist unwissenschaftlich, die Interpretation der Ergebnisse nicht schlüssig. 

Der UDV hat bei der Kommentierung des Verkehrsversuchs immer wieder erwähnt, dass der Abbiegeassistent an abgesetzten Furten nicht funktioniert. Das ist eigenartig, da solche Führungen an Kreuzungen im deutschen Bestand zahlreich vorhanden sind. Es gleicht schon einen Skandal, dass der Abbiegeassistent, deren Entwicklung die UDV begleitet hat, nur für einen Teil der Kreuzungen funktioniert, die UDV dieses Detail bei der Entwicklung des Abbiegeassistenten übersehen hat und erst durch die Versuche zur geschützten Kreuzung darauf gestoßen ist. „Alles was wir bislang an Förderung in die Abbiegeassistenten gesteckt haben, wäre auf einmal wertlos“, wird Brockmann im Tagesspiegel zitiert. Die UDV zeigt damit, dass es bei Verkehrsversuch und Simulation vordergründig um die Rechtfertigung der Entwicklung des Abbiegeassistenten ging, die Sichten aufgrund der Kreuzungsgeometrie nebensächlich waren. Brockmanns Aussage, dass die geschützte Kreuzung nicht funktioniere, ist nach eingängiger Prüfung nicht nachvollziehbar, sie macht hingegen einmal mehr die Defizite der Spiegeltechnik als auch des Abbiegeassistenten deutlich. 

2021 veröffentlicht die FGSV ein Ad-Hoc-Papier als Reaktion auf die Verkehrsversuche der UDV und vermutlich getrieben durch die auch personellen Verflechtungen der beiden Organisationen[42]. Darin verschweigt die FGSV, dass sie jahrzehntelang selbst dieses Kreuzungsdesign empfohlen hat. Laut FGSV sei „dringender Forschungsbedarf nötig“, obwohl mit der Studie Summerskill seit 2015 Unterlagen zu den Rundumsichten vorlagen. 2024 wurde ein Forschungsprojekt der BASt abgeschlossen, die Ergebnisse wurden bis August 2025 noch nicht veröffentlicht.

Die Bedürfnisse von Radfahrenden an Kreuzungen (Komfort, subjektive Sicherheit) haben sowohl UDV und FGSV in ihrer Arbeit bislang nicht oder zu wenig verfolgt. Viele Musterlösungen der ERA 2010 erfordern außerordentlichen Mut von Radfahrenden (z.B. Radfahrstreifen in Mittellage) und sind nicht geeignet für die Mehrheit der Radfahrer*innen, die die Nähe zu (Schwerlast-)verkehr meiden wollen. Weder UDV noch FGSV konnten bislang Lösungen für die Mehrheit der Radfahrenden anbieten.

Für die Unfallforschung ist das Engagement der UDV wichtig. Mit dem Hintergrund der Versicherungen ist ihr natürlich viel daran gelegen, dass Unfälle vermieden werden. Eine Steigerung des Radverkehrsanteils ist jedoch nicht auf der Agenda dieser Organisation. Die UDV hat keine Expertise für niederschwelligen Radverkehr. Der große Einfluss der Versicherungsgesellschaften auf die Regelwerke der FGSV ist daher zu hinterfragen. Er ist nicht förderlich für einen integrativen Radverkehr für alle

Es bleibt abzuwarten, wie sich die FGSV zum Thema fahrradtaugliche Kreuzungen in der Neuauflage der ERA 202x positionieren wird. Radfahrende in Deutschland haben Kreuzungsdesigns dringend nötig, die sie nicht nur vor Unfällen schützen, sondern auch wenig Mut in der Nutzung erfordern.

Kreuzungen mit Radwegüberfahrten (Teilaufpflasterungen)
G14_Aufpflasterung
Grafik 14: Schema einer Radwegüberfahrt

Seit Jahrzehnten gehören Rad-/Gehwegüberfahrten gerade an Übergängen von Haupt- zu Nebenstraßen ohne Ampeln zur Standardausstattung im niederländischen Straßenbauwerkzeugkasten. Spätestens seit 1992 ist auch laut einer deutschen Studie[43] bekannt, dass diese Rampen („Teilaufpflasterungen“) das Unfallrisiko signifikant senken. Und nicht nur das: Diese Elemente der Verkehrsberuhigung an nicht signalisierten Kreuzungen spiegeln – anders als Kreuzungen ohne dieselben – die geltenden Verkehrsregeln in der Gestaltung wider. Sie sorgen für ein faires Miteinander und steigern den Komfort und die subjektive Sicherheit bei Fußgänger*innen und Radfahrenden. Radwegüberfahrten sind zwar auch in der ERA enthalten und empfohlen, in Deutschland umgesetzt wurden sie jedoch bislang kaum. Das Thema wird in der Verkehrsforschung sporadisch behandelt, obwohl sich Aufpflasterungen optimal zur Senkung des Tote-Winkel-Risiko eignen, weil sie das Abbiegetempo effektiv verringern. Auch hier gibt es dringenden Nachholbedarf. 

Ausstattung 

Signalisierung mit getrennten Grünphasen

Anders als in den Niederlanden werden die unterschiedlichen Verkehrsmittel an deutschen Kreuzungen standardmäßig „bedingt verträglich“ (Fachjargon) geführt, d.h. abbiegender Kfz-Verkehr und Fußgänger/Radfahrende haben gleichzeitig grün, Konflikte durch eine Gleichzeitigkeit werden in Kauf genommen. Radfahrer* und Fußgänger*innen hängen vom Verhalten der Kfz-Führenden ab. Im von der FGSV veröffentlichten Ad-Hoc-Papier zu geschützten Kreuzungen wird die konfliktfreie Signalisierung als mögliche Lösung zur Erhöhung der Sicherheit erwähnt. Neben der örtlichen Entzerrung der Verkehrsströme wie an der geschützten Kreuzung gegeben, kann auch die zeitliche Entzerrung die Sicherheit erhöhen. Allerdings nur dann, wenn Risiken durch Missachten des Rotsignals durch erhöhte Wartezeiten Risiken durch Rechtsabbiegeunfälle nicht überschreiten. Das muss im Einzelfall mit den Verkehrsstärken abgewogen werden und ist nicht grundsätzlich eine gute Lösung. So differenziert wird es auch in den Niederlanden gehandhabt.

Die FGSV muss zudem ihre Grundsatzregeln in der ERA dazu anpassen. Denn aktuell wird die konfliktfreie Signalisierung als seltener Ausnahmefall gehandelt: 

„Die signaltechnisch gesicherte Führung soll daher nur in begründeten Einzelfällen angewandt werden.“

ERA 2010, FGSV

D.h. auch eigene Radverkehrsampeln, die eine solche Trennung ermöglichen, sind nach aktuellem Stand der Regelwerke der FGSV grundsätzlich nicht vorgesehen. Hier muss die FGSV Klarheit schaffen.

Vorgezogene Haltlinien

Die Studie Niewöhner (2004) hat sich neben den indirekten (Spiegel-)Sichten auch mit den direkten Sichten aus Lkw beschäftigt (s. geschützte Kreuzungen). Wie auch in anderen internationalen Studien (s. dieser Beitrag) und in der ERA 2010 werden für eine bessere Sichtbarkeit insbesondere durch Lkw-Fahrende vorgezogene Haltlinien empfohlen. In der ERA 2010 sind die vorgezogenen Haltlinien jedoch nicht konsequent mit 5 m angegeben. Erst dann ist sichergestellt, dass auch kleinere Radfahrende direkt ausreichend sichtbar sind. Auch sogenannte ARAS (Aufgeweitete Radaufstellstreifen) werden in der ERA empfohlen. Bei diesen Elementen wird vor dem Kfz-Verkehr eine breite Fläche vor der Haltlinie des Autoverkehrs geschaffen, die es nicht nur zulässt, dass sich Radfahrende sammeln, sondern auch direktes Linksabbiegen ermöglicht. Bei kleineren Kreuzungen ist dies eine gute Lösung. ARAS sollten abhängig vom Kreuzungstyp eine Mindestausstattung sein. Auch als Nachrüstung an bestehenden Kreuzungen ohne Radverkehrsführung eignen sie sich. Allerdings muss evtl. die Ampelanlage angepasst werden. Der Einsatz von ARAS wird in der ERA eingeschränkt:

Aufgeweitete Radaufstellstreifen kommen vorrangig in Knotenpunktzufahrten mit längeren Sperrzeiten in Frage, damit die Mehrzahl der Radfahrer den Aufstellstreifen auch nutzen kann.

ERA 2010, FGSV

Diese Einschränkung ist unnötig, denn sie führt dazu, dass viele Kommunen lieber auf die Anlage von ARAS verzichten.

Trixi®-Spiegel

…sind fest installierte Spiegel unter den Lichtsignalen, die es Lkw-Führenden mit einem Sowieso-Blick in Richtung Ampel vereinfacht, neben oder vor dem Lkw stehende Radfahrende zu sehen. In einer Untersuchung in Freiburg[44] wurden mit diesen Spiegeln sehr wenige Konflikte festgestellt. Einige Kommunen – u.a. München, Darmstadt[45] – haben diese Trixi®-Spiegel seitdem eingeführt.

Trotz guter Ergebnisse zur Wirksamkeit von Trixi®-Spiegeln, Akzeptanz bei Lkw-Fahrenden und trotz des geringen Investitionsaufwandes, gibt es leider noch keine allgemein gültige Vorschrift oder offizielle Empfehlungen zur Ausstattung von Ampelanlagen. Trotz guter Erfahrung gibt es Bedenken gegen die Spiegel. So wird z.B. befürchtet, Lkw-Fahrenden könnten durch die Überwachung eines weiteren Spiegels überfordert sein. Wer allerdings ernsthaft den geringen Aufwand, Nutzen und Kosten der Spiegel abwägt und dem Schaden durch Tote-Winkel-Unfälle gegenüberstellt, kommt nicht umhin, diese Spiegel weitflächig zu montieren. Die Baulastträger müssen zur Montage verpflichtet werden.

3. Aufklärung der Verkehrsteilnehmenden

Während sich die nationalen und europäischen Gesetzgeber mind. 55 Jahre Zeit ließen, um in das Risiko ungeschützter Verkehrsteilnehmer durch toten Winkel zu verbessern, hat sich in der Zwischenzeit eine Armada an Organisationen aufklärenden oder verkehrserzieherischen Maßnahmen verschrieben. Darunter fallen u.a. die Polizeien, Verbände der Verkehrssicherheit (DVRVerkehrswacht), die Versicherungswirtschaft, der ADAC, das Fernsehen (hierhierhier und hier), oder der Service Club Round Table

Neben einigen Appellen und Empfehlungen für erwachsene Autofahrende oder Radfahrende (u.a. Kampagnen zum Einstellen der Spiegel, Rücksicht und Schulterblick), liegt der verkehrserzieherische Schwerpunkt beim Thema toter Winkel auf der Nutzergruppe der Kinder. Den Engagierten geht es um die Vermittlung der Risiken durch die toten Winkel.[46]

Häufig lädt dabei u.a. die Polizei, der ADAC, die Verkehrswacht oder der Round Table Schulklassen zu Experimenten ein, um die toten Winkel live am Lkw erfahrbar zu machen. Kinder werden dabei vor oder neben Lkw in vermeintliche tote Winkel gestellt, andere dürfen dann aus der Kabine prüfen, was gesehen werden kann. Da seit Einführung der Spiegelnorm viel weniger tote Winkel vorhanden sind, ist es offensichtlich durch so einen Feldversuch kaum möglich, ausreichend „Dramatik“ aufzubauen, um die Risiken für Radfahrende und zu Fuß Gehende darzustellen. Die Durchführenden der verkehrserzieherischen Maßnahmen greifen daher zu unlauteren Tricks. Sie ignorieren oder verstellen Spiegel oder sie kleben ganze Spiegel ab, sodass tote Winkel entstehen, wo sie in der Wirklichkeit gar nicht mehr sind. 

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In Feldversuchen wird der Spiegel IV nach EU-Norm häufig abgeklebt, und Kinder auf die Flächen gestellt, auf den sie eigentlich über den Spiegel gesehen werden können. Der OTV kommentiert dies in dargestelltem Fall nicht. (Quelle: OTV)

Der Round Table stellt unter der URL www.toter-winkel.de Unterrichtsmaterial zu einem Aufklärungsprojekt zur Verfügung, das 2006 gestartet wurde. Von einer Website mit diesem Namen erwartet man umfangreiche Informationen zum Thema. Mehr als Aufklärung über die Gefahren des toten Winkels findet man jedoch auf der Website nicht. Alleiniger Adressat sind Schulkinder über deren Lehrer. 

Im Unterrichtsskript von 2022 wird auf einen fast 20 Jahre älteren Fernsehbeitrag (Buten und Binnen v. 15.04.2003) verwiesen, der über einen Unfall berichtet, bei dem ein Lkw-Fahrer einen 6-jährigen Jungen beim Abbiegen tötete. Lehrer*innen wird empfohlen, zunächst die ersten zwei Minuten des Videos mit den Schülern zu schauen, in dem Unfallzeugen mit allen Details über den Ablauf des Unfalls berichten, bei dem die Mutter schwerverletzt und traumatisiert überlebte („die Mutter hat nach Leibeskräften geschrien, …“). Als mögliche Gründe für einen solchen Unfall werden bestimmte Vorschläge gemacht: „Der Fahrer konnte das Kind nicht sehen“, „Das Kind war zu dicht am LKW“ oder „Das Kind hat beim Losfahren nicht auf den LKW geachtet“. 

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(Quelle: Round Table)

Nochmals zur Erinnerung: 2003 waren die Lkw-Hersteller noch nicht verpflichtet, die umfangreiche Spiegeltechnik nach heutigem Standard zu verbauen. Das Video ist also als überholt zu bewerten. Im Fernsehbeitrag wird schon auf wichtige technische Defizite hingewiesen.[47] Die Website nimmt diese Themen jedoch nicht auf.

Gründe für die unzähligen Kampagnen mit Schüler*innen zum Thema toter Winkel könnten folgende sein: Es wird immer wieder behauptet, Kinder seien in besonderem Maße durch tote Winkel gefährdet. Dieses Argument erscheint zunächst einleuchtend, da Kinder kleiner sind und unerfahrener. Schaut man genauer hin, stellt man fest, dass es keine Unfallstatistik gibt, die belegen würde, dass Kinder überproportional an Tote-Winkel-Unfällen beteiligt sind.

Anstatt Kinder rational über die tatsächlichen Risiken des toten Winkels aufzuklären, werden sie bei der schulischen Aufklärungsarbeit an der Grenze zur Traumatisierung verängstigt. Es wird unwissenschaftlich gearbeitet, Sicherheitstechnik verleugnet, bei Größe und Position der toten Winkel „geflunkert“ und von Kindern ein hohes Maß an Verantwortung in der Verkehrssicherheit verlangt. 

Die bewusste Falschdarstellung der Sicherheitstechnik führt jedoch dazu, dass die echten Schwächen des Sicherheitskonzeptes in der öffentlichen Debatte kleingeredet werden. In der Öffentlichkeit entsteht dadurch der Eindruck, die defizitäre Technik sei nicht optimierbar, sondern ließe sich nur noch durch das Verhalten der schwächsten Verkehrsteilnehmer kompensieren. Verängstigte Verkehrsteilnehmer sind aber keine aufgeklärten, sondern verunsicherte Verkehrsteilnehmer, die eher dazu neigen, auf das zu Fuß Gehen oder das Radfahren zu verzichten. 

Verängstigte Verkehrsteilnehmer sind keine aufgeklärten, sondern verunsicherte Verkehrsteilnehmer, die eher dazu neigen, auf das zu Fuß Gehen oder das Radfahren zu verzichten.

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Irrationale, Angst machende Verkehrserziehung begünstigt, dass Kinder immer häufiger mit dem Auto gefahren werden. (Quelle: VCD)

Auch andere Organisationen haben ein Problem damit, die toten Winkel richtig darzustellen. Es ist klar: Da die Sichtfelder von Fahrzeugtyp zu Fahrzeugtyp variieren, können verallgemeinernde Rundumsichten nur skizzenhaft grafisch dargestellt werden. Im Zuge der Aufklärungsarbeit werden jedoch fast ausschließlich Darstellungen von toten Winkeln verwendet, die von der Realität sehr weit entfernt sind, einen falschen Eindruck vermitteln und von den eigentlichen Defiziten der Sicherheitstechnik ablenken. Die wahren toten Winkel sind oben ausreichend dargestellt.

Beitragsbild
In keiner dieser Skizzen und Fotos entspricht die Darstellung der toten Winkeln der Realität. In allen Fällen sind Radfahrende in den Markierungen zumindest in Spiegeln sichtbar. (Quellen: Im Uzs. von links oben: Ulrike Bahl-DGUV, ADAC, in Frankreich vorgeschriebene Aufkleber, ADAC, Polizei NRW, Landesverkehrswacht NRW, ADAC)

Als ein Baustein für das Haus der Verkehrssicherheit macht Aufklärung und Bildung natürlich Sinn. Die Tatsache z.B., dass Auflieger von Lkw beim Abbiegen seitlich nach rechts ausscheren, ist wenigen bekannt. Dies kann für Radfahrende gefährlich werden, wenn sie, wie es heute empfohlene Kreuzungsdesigns tun, fahrbahnnah an Lkw geführt werden. 

Doch man muss feststellen, dass die Verkehrserziehung immer im Vordergrund der Verkehrssicherheitsarbeit stand. Der Wandel in der Fahrzeugtechnik und die wenigen Innovationen bei der Infrastruktur, hinken stets hinterher. 

Die jüngste Warnkampagne zum toten Winkel hat im Rahmen der Schwerpunktaktion der DVR und der DGUV durchgeführt. In dem Film wird auch 2025 immer noch ein toter Winkel dort suggeriert, wo er in Wirklichkeit gar nicht ist. Und auch immer noch werden Verhaltenshinweise ausschließlich an Radfahrende gegeben. An Pkw/Lkw-Fahrende: Fehlanzeige! 

Kinder sind die Hauptadressaten in der Verkehrserziehung. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass das nicht die richtigen Personen sind, um Defizite der Erwachsenenwelt zu kompensieren. Aufklärungskampagnen sind schnell erstellt und öffentlichkeitswirksam. Die Gefahr besteht jedoch, dass sie vermitteln, dass es reicht, wenn sich die Schwächsten im Straßenverkehr richtig verhalten. Dann wird auch nicht diskutiert, dass die Fahrzeughersteller und Straßenplaner ihre Arbeit nicht richtig machen. Es ist viel effizienter, Technik und Infrastruktur anzupassen, als Verkehrssicherheit über das Verhalten von Menschen zu erhalten. Und wie erwähnt, besteht die Gefahr, dass die Menschen dann doch lieber Auto fahren, wenn Rad- und Fußverkehr stets mit Gefahr verbunden assoziiert werden. 

Die Aufklärungsarbeit zur Verkehrssicherheit ist voller Widersprüche. So werden z.B. unsinnige Empfehlungen ausgesprochen, die Darmstadt fährt Rad schon an anderer Stelle kritisiert hat. 

FGSV, der Round Table oder auch der ADAC machen für die Praxis untaugliche Empfehlungen wie „größeren Abstand halten“, „Blickkontakt zum Fahrer suchen“. Diese stehen im Gegensatz zur hauptsächlich gebauten Infrastruktur und Empfehlungen, bei denen die Radführungen ja explizit in der in der Nähe von Lkw verlaufen. Bei fahrbahnnahen Führungen ist es jedoch nicht möglich, Blickkontakte herzustellen, es gibt es keine Reaktions- bzw. Ausweichzone, um zu verhindern, dass Fehler von Lkw-Fahrenden zu Unfällen führen. Das Leben von Radfahrenden hängt ganz alleine von Lkw-Führenden ab. Ein Vier-Augen-Prinzip zur Verhinderung von Unfällen wird strukturell verhindert. (s.a. 2. Verbesserung der Infrastruktur).

4. Weitere Maßnahmen

Wie auch die FGSV festgestellt hat, sind im Bestand unzählige Kreuzungen vorhanden, die regelwidrig nach ERA ausführt wurden. Es ist bekannt, welche Defizite das sind. Es darf nicht darauf gewartet werden, dass erst gehäuft Unfälle passieren, die Baulastträger müssen präventiv handeln. Doch dazu muss der Staat verpflichtende Sicherheitsaudits einführen und die Kommunen zwingen, diese Mängel zeitnah zu beseitigen. Dazu gehören u.a. unverständliche Führungen, verschlissene Markierungen oder fehlende Rotmarkierungen.  

I19 Kreuzung Darmstadt
Absolutes No-Go: Kreuzung mit unverständlicher Führung und verschlissenen Markierungen. (Darmstadt, Breslauer Platz, 2024)

Wie dargestellt ist die direkte Sicht aus den Lkw-Fenstern ein wichtiger Bestandteil für die Sicherheit von ungeschützten Verkehrsteilnehmenden. Das Risiko durch verdeckte Fensterflächen in den Lkw-Kabinen bleibt jedoch meist unerwähnt. Es fehlen Kampagnen und verstärkte Kontrollen durch die Polizei.

I20
Rechtswidrig nach §23 (1) StVO durch Dekorationen und Vorhänge zugehängte transparente Flächen in der Fahrzeugkabine des Testfahrzeugs in einem Beitrag des OTV zu einer Tote-Winkel-Aktion mit Schulkindern. Der OTV übersieht dieses wichtige Detail. Im Interview verlangt der Lkw-Fahrer von Radfahrenden Umsicht, die er offensichtlich selbst nicht erbringt. (Quelle: OTV2022)

Eine wichtige Maßnahme darf nicht unerwähnt bleiben. Der erste Schritt bei der Reduzierung des Tote-Winkel-Risikos ist die Vermeidung von innerstädtischen (Schwerlast-)Fahrten. Viele Waren lassen sich in Hubs in umweltfreundlichere und sichere Fahrzeuge umladen. DHL, die Post und andere Unternehmen machen die Machbarkeit mit ihren kleinen Elektrofahrzeugen und Lastenfahrrädern vor. 

Im Grunde geht es bei dieser Frage auch um die Neuerstellung von Netzplänen in denen neben dem Kfz- und Öffentlichen Verkehr auch der Rad- und Fußverkehr berücksichtigt wird. Die Frage ist zu klären, welche innerstädtischen Straßen Pkw und Lkw überhaupt noch nutzen dürfen. Neben weitflächigen Fahrverboten eignen sich auch Rechtsabbiegeverbote (für Lkw ohne Abbiegeassistent), um das Unfallrisiko zu verringern.

Fazit

In den letzten Jahrzehnten sind einige Maßnahmen zur Reduzierung des Risikos durch tote Winkel umgesetzt worden. Wie die Historie zur Optimierung der Fahrzeugtechnik zeigt, ist dies jedoch bei weitem nicht genug. Die Einführung der Anfang des Jahrtausends eingeführten Spiegeltechnik war mühsam. Die Technik hat schwere Defizite und ist fehleranfällig, da sie keine komplette Rundumsicht bietet und ohne die Berücksichtigung von menschlichen Faktoren entwickelt wurde. Unverständlich ist, warum es Dobli-Spiegel, die auch den wichtigsten Rest-toten-Winkel erfassen, nicht in die Vorschriften der EU geschafft hat. Der Abbiegeassistent schafft es zwar, diese Defizite etwas zu kompensieren, er funktioniert jedoch nicht bei allen Radverkehrsführungen. Bislang gibt es die Pflicht für den Abbiegeassistenten nur für Neufahrzeuge. Es wird Jahre dauern, bis der Großteil der Lkw die Assistenten besitzen. Beide Techniken sind nicht ausreichend, um Fußgängerinnen und Radfahrer zu schützen, und die UN-Charta auf das Recht auf Leben und Unversehrtheit einzuhalten. Hoffnung besteht, dass sich die Regelungen für die direkten Sichten aus Fahrzeugen zu nachhaltiger Verbesserung führen, da direkte Sichten viel näher an den menschlichen Kapazitäten angelehnt sind. Allerdings werden Optimierungen der Fahrzeugtechnik dahingehend noch lange auf sich warten. Dass es anders geht, macht London mit seinem Direct Vision Standard vor. 

Die aktuell von der FGSV empfohlenen und vorgeschriebenen Musterlösungen für Infrastruktur sind nicht ausreichend geeignet, um Tote-Winkel-Risiken zu minimieren. Radverkehrsfreundliche Infrastruktur, bei der die Sicherheit von Radfahrenden nicht vom Verhalten anderer abhängig ist, wird zwar in der Theorie in der ERA verlangt[48], jedoch in der Praxis häufig von FGSV und der Unfallforschung blockiert (geschützte Kreuzungen) oder eine Umsetzung nicht ausreichend unterstützt (Radwegüberfahrten). Dies schafft eine Unsicherheit innerhalb der planenden Büros und Behörden und lähmt den wichtigen Fortschritt im Bereich Infrastruktur. Kleinere Verbesserungen wie Trixi®-Spiegel oder vorgezogene Haltlinien, werden nur halbherzig umgesetzt.

Hinzu kommt, dass viele Kreuzungen im Bestand längst nicht mehr den Regelwerken entsprechen oder nicht ausreichend instandgehalten werden. Es fehlt der nötige Druck auf die Baulastträger, dies zeitnah zu ändern. Sicherheitsaudits sind in Deutschland nicht allgemein verpflichtend, Tätigkeiten von Unfallkommissionen[49] sind zu wenig effektiv. Gesetzliche Regelungen zur Bewertung von Gefahrenlagen verhindern eine präventive Unfallsicherheitsarbeit. Wenn überhaupt, werden Maßnahmen zur Erhöhung der Unfallsicherheit (Änderungen der Anordnungen oder bauliche Maßnahmen) hauptsächlich reaktiv umgesetzt, d.h. erst nachdem gehäuft Unfälle aufgetreten sind. Präventive Maßnahmen sind bei den Behörden unpopulär, obwohl man weiß, welche Mängel das theoretische Unfallrisiko erhöhen. Tote-Winkel-Unfälle sind eher selten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie an Unfallhäufungsstellen passieren, und dass sie von den Unfallkommissionen bearbeitet werden, ist gering. Daher führen Unfälle in Verbindung mit toten Winkeln auch selten zu Anpassungen der Infrastruktur. Ohne ein fundamentales Umdenken bei Polizei und Straßenverkehrsbehörden, wird es im Bereich Optimierung der Infrastruktur keine Verbesserung geben.

Getrieben vom Sicherheitskonzept der Spiegeltechnik ist die Optimierung der direkten Sicht in der Verkehrssicherheitsarbeit stark aus dem Fokus geraten. Trotz Studien (s. Summerskill) zu diesem Thema, hat es FGSV und UDV versäumt, die Potentiale der direkten Sichten auszuschöpfen. Es wurde versäumt, die Fahrzeughersteller aufzufordern, Fahrzeugkabinen mit verbesserter direkter Sicht herzustellen. Man hat sich auf das Funktionieren der Spiegeltechnik verlassen und fahrbahnnahe Radverkehrsführungen unterstützt, bei denen sich Radfahrende in Kreuzungsbereichen in unmittelbarer Nähe zu Lkw aufstellen. Radfahrende werden jedoch vorwiegend auf fahrbahnnahen Führungen durch Lkw-Fahrende getötet. In den Jahren 2019 und 2020 sind 90 % aller Rechtsabbiegeunfälle auf fahrbahnnaher Radverkehrsführung geschehen, auf denen Radfahrende nur indirekt, also in Spiegeln gesehen werden. Genau solche Führungen werden aber aktuell von den Regelwerken der FGSV präferiert. Zudem kommt, dass diese Musterlösungen nicht niederschwellig genug für die große Masse von Radfahrenden sind, die nicht nur unfallsicher, sondern auch subjektiv sicher unterwegs sein wollen.  

Die unzähligen verkehrserzieherischen Kampagnen von Polizei, Versicherungsgesellschaften, Verbänden der Verkehrssicherheit, Round TableADAC, usw. haben die schwerwiegenden Defizite an Lkw und an der Infrastruktur transparent gemacht. Es stellt sich daher die Frage, warum auch diese Verbände im Rahmen ihrer aufklärerischen Arbeit, die Fahrzeughersteller, Straßenplaner und Gesetzgeber nicht couragierter angesprochen haben, als sie es getan haben. Kampagnen, die einzelne Verkehrsteilnehmer adressieren, lenken ab von den wirklich langen Hebeln, den Potentialen in der Fahrzeugtechnik und Infrastruktur. Sie verlangen von Nutzern, die Defizite durch die Anpassung ihres Verhaltens zu kompensieren. 

Dass der Schwerpunkt des Anti-Toten-Winkel-Apparats bei der Aufklärung von Schulkindern gesetzt wurde, ist ein Armutszeugnis der Verkehrssicherheitsarbeit. Die Tote-Winkel-Kampagnen machen eindrücklich deutlich, dass Kinder im Straßenverkehr immer ganz hintenanstehen. Die Kampagnen wären nicht notwendig, wenn Fahrzeughersteller und Behörden ihre Aufgabe ernst nehmen würden, die hauptsächliche Verantwortung für die Sicherheit von ungeschützten Verkehrsteilnehmern zu übernehmen. 

Dass der Schwerpunkt des Anti-Toten-Winkel-Apparats bei der Aufklärung von Schulkindern gesetzt wurde, ist ein Armutszeugnis der Verkehrssicherheitsarbeit. Die Tote-Winkel-Kampagnen machen eindrücklich deutlich, dass Kinder im Straßenverkehr immer ganz hintenanstehen.

Die Historie des Engagements gegen tote Winkel steht stellvertretend für den bundesweiten Umgang mit Unfallsicherheit und deckt große Versäumnisse bei der Unfallsicherheitsarbeit in allen Bereichen auf. Fahrzeughersteller, Zulassungsbehörden, Unfallkommissionen, Straßenplaner, Straßenverkehrsbehörden, Versicherungsgesellschaften, Unfallforschung, Journalisten, Sachverständige, Verbände und Initiativen: Sie alle haben die Grundhaltung im Straßenverkehr geschaffen, die Unfallursachen seien grundsätzlich im Fehlverhalten der Verkehrsteilnehmer*innen zu suchen. In der Gesellschaft, wie auch beim Staat, ist immer noch nicht angekommen, dass zur Erreichung des Ziels der Vision Zero bei Fahrzeugherstellern und Behörden begonnen werden muss. Die gesamte Gesellschaft ist hier aufgefordert, diese Haltung zu überdenken.

Bis dahin fahren auf unseren Straßen leider auch noch in den kommenden Jahren Lkw, bei denen die Sichten derart eingeschränkt sind, dass sie nach StVZO gar nicht zugelassen hätten werden dürfen und ungeschützte Verkehrsteilnehmer weiter gefährdet werden. 


[1] Kolrep-Rometsch et al. (2014). Abbiegeunfälle Pkw/Lkw und Fahrrad. UDV https://www.udv.de/resource/blob/78322/b3dd00fc1e86e9cd7164fa8872a45932/21-abbiegeunfaelle-pkw-lkw-und-fahrrad-data.pdf

[2] Der Lkw-Bestand ist von 2001 bis 2024 um 53% gestiegen: KBA (ohne Busse, landwirtschaftlichen und sonstigen Fahrzeugen): https://www.kba.de/DE/Statistik/Produktkatalog/produkte/Fahrzeuge/fz2_b_uebersicht.html

[3] Zahlen von radunfaelle.wordpress.com auf Basis von Pressemeldungen: https://radunfaelle.wordpress.com/gesamte-liste-ab-1-1-2013/ (zuletzt abgerufen am 09.06.2025)

[4] Destatis: Gesamtzahl der Radunfälle 2024: 92.882, davon 441 Getötete: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2025/04/PD25_N020_461.html (zuletzt abgerufen am 21.08.2025)

[5] ADAC: https://adac-nordbayern.de/fileadmin/ADAC_NBY/Inhalte_NBY/01_Mobilit%C3%A4t/Rund_um_die_Verkehrssicherheit/Bilder_Programme/downloads/TW_Flyer_online.pdf (zuletzt abgerufen am 05.06.2025)

[6] DGUV: https://www.dguv.de/fb-verkehr/sachgebiete/verkehrssicherheit/toter-winkel.jsp (zuletzt abgerufen am 05.06.2025)

[7] Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Toter_Winkel (zuletzt abgerufen am 05.06.2025); im Beitrag angegebene Quellenangabe des Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Berlin e. V.: https://berlin.adfc.de/artikel/sicherheit-fuer-radfahrende-lkw-haben-keine-toten-winkel

[8] ADAC: https://www.mobilitaet-unterricht.de/unterricht/toter-winkel/  (zuletzt abgerufen am 05.06.2025)

[9] ADFC, Landesverband Berlin e.V.: https://berlin.adfc.de/artikel/sicherheit-fuer-radfahrende-lkw-haben-keine-toten-winkel (zuletzt abgerufen am 11.06.2025)

[10] Video mit Gernot Hassknecht der Kampagne Runter vom Gas des Bundesministeriums für Verkehr und des Deutschen Verkehrssicherheitsrats, (20.09.2019): https://www.youtube.com/watch?v=pkuSsQB3NqY (zuletzt abgerufen am 05.06.2025)

[11] ADFC Hamburg: (TAZ vom 30-11-2023): „„Es ist skandalös, dass die Polizei bei solchen Aktionen immer noch das Märchen vom toten Winkel verbreitet, seit 2007 müssen Spiegel so ausgerichtet werden, dass es keinen toten Winkel gibt“, sagt Lau.“ >Diese Aussage ist falsch!https://taz.de/Toedliche-Radunfaelle-in-Hamburg/!5975676/  

[12] Polizei HH https://www.polizei.hamburg/gefaehrliche-situationen-793044 (zuletzt abgerufen am 11.06.2025)

[13] Polizei HH (26.10.2016 auf Twitter): https://x.com/PolizeiHamburg/status/791195091926913024?s=20

[14] Changing Cities (24.04.2019), Der tote Winkel existiert nicht mehr: https://changing-cities.org/der-tote-winkel-existiert-nicht-mehr-ein-offener-brief/ (zuletzt abgerufen am 11.06.2025)

[15] Polizei Stuttgart (26.04.2021): „Radfahrer werden oft schwer verletzt, weil sie im toten Winkel übersehen werden.“ https://x.com/PP_Stuttgart/status/1386613801865420803?s=20

[16] Polizei HH (20.02.2018 auf Twitter): https://x.com/PolizeiHamburg/status/965955565699641345?s=20

[17] DGUV: https://www.dguv.de/fb-verkehr/sachgebiete/verkehrssicherheit/toter-winkel.jsp zuletzt abgerufen am 11.06.2025)

[18] DVR Schwerpunktaktion mit DGUV (2025/2026): https://www.schwerpunktaktion.de/themen/radfahrmobilitaet-2025-toter-winkel

[19] BMV: „Immer noch zu wenig bekannt ist, dass der so genannte tote Winkel bei schweren Lkw heute aufgrund der Ausrüstung mit mehreren Spiegeln bei richtiger Einstellung und entsprechender Aufmerksamkeit der Fahrzeugführenden vermieden werden kann.“ >Diese Aussage ist falsch!

[20] FOCUS: Das Aufklärungsvideo zeigt wie unprofessionell das Thema toter Winkel präsentiert wird: Es nutzt Material eines indischen Influencers, der einen Lkw zeigt, der nicht die Sicherheitsstandards der europäischen Lkw einhalten. 

[21] Die StVZO regelt die Voraussetzungen für die Zulassung von Fahrzeugen.

[22] Strategie mit dem Ziel: keine Toten, keine Schwerverletzten. Seit 2017 in der VwV-StvO und damit eine klarer Appell zur Beteiligung der Behörden an der Vision Zero.

[23] EU-Richtlinien sind Zielvorgaben, die von den Mitgliedstaaten durch nationale Gesetze umgesetzt werden müssen, während Verordnungen direkt und unmittelbar in allen EU-Ländern gelten.

[24] Details in der UN-Regelung Nr. 125

[25] Bei der Recherche in Archivmaterial konnte keine frühere Version vor 1988 des §56 gefunden werden.

[26] StVO §9 (6): „Wer ein Kraftfahrzeug mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t innerorts führt, muss beim Rechtsabbiegen mit Schrittgeschwindigkeit fahren, wenn auf oder neben der Fahrbahn mit geradeaus fahrendem Radverkehr oder im unmittelbaren Bereich des Einbiegens mit die Fahrbahn überquerendem Fußgängerverkehr zu rechnen ist.“

[27] StVO § 12 (3) 1.: „Das Parken ist unzulässig vor und hinter Kreuzungen und Einmündungen bis zu je 5 m von den Schnittpunkten der Fahrbahnkanten, soweit in Fahrtrichtung rechts neben der Fahrbahn ein Radweg baulich angelegt ist, vor Kreuzungen und Einmündungen bis zu je 8 m von den Schnittpunkten der Fahrbahnkanten.“

[28] EU-Richtlinie 2003/97/EG: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN-DE/TXT/?from=EN&uri=LEGISSUM%3Al21056

[29] Laut BASt-Studie Niewöhner 2004 ereignen sich jährlich schätzungsweise 135 Unfälle mit Radfahrenden und Fußgängern: https://bast.opus.hbz-nrw.de/opus45-bast/frontdoor/deliver/index/docId/228/file/F54.pdf Laut der gesetzlichen Unfallversicherung – GUV starben in Deutschland 1995 103 Radfahrende und 106 Fußgänger*innen: https://www.landesverkehrswacht.de/fileadmin/user_upload/LVW/Angebot/Toter-Winkel_guv-si-8055.pdf. Wie sie starben ist unklar.

[30] Im Vergleich zu direkten Sichten.

[31] UN-Regelung Nr. 167: „Viele (Radfahrende) sind in den Spiegeln zu sehen, aber alles deutet darauf hin, dass dies nicht ausreicht, um alle Kollisionen zu verhindern.“ „Die Sichtbarkeit über Spiegel kann sehr nützlich sein, unterliegt aber im Vergleich zur direkten Sicht einigen Einschränkungen. …“

[32] Humanfaktoren schließen die menschlichen Fähigkeiten, charakteristische Verhaltensweisen, körperliche Zustände oder die Fehleranfälligkeit in das Design von Produkten mit ein. Die niederländische Strategie sustainable safety zur Verkehrssicherheit legt sich diese Faktoren zu Grunde: https://sustainablesafety.nl/

[33] Summerskill et al. (2015) Loughborough Design School, Loughborough University. London: „This, in conjunction with the fact that accidents are still occurring and on the increase between cyclists and HGVs, indicates that direct vision should be prioritised over indirect vision in the vehicle design process.” “Direct vision of VRUs can be supported by additional glazed areas below the passenger window…”

[34] EYYES

[35] Schwendy (2021). Das Unfallrisiko für Radfahrende an deutschen Kreuzungen. Darmstadt fährt Rad. Darmstadt: https://www.darmstadtfaehrtrad.org/?p=4016 (zuletzt abgerufen am 17.07.2025)

[36] Friel et al (2023). Cyclists’ perceived safety on intersections and roundabouts – A qualitative bicycle simulator study. TUB. Berlin

[37] ADAC (05.05.2021): https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/ausstattung-technik-zubehoer/assistenzsysteme/lkw-abbiegeassistent/ (zuletzt abgerufen am 05.06.2025)

[38] Schwendy (2023). SICHERE KREUZUNGEN – DIE BLAUE REIHE – Praxiswissen kompakt, Band 3. Thiemo Graf Verlag.

[39] Vorgänger der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 2010), FGSV

[40] Pfundt, Alrutz, Hülsen (1982). Radverkehrsanlagen, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Empfehlungen für Planung, Entwurf, und Betrieb von Radverkehrsanlagen, Erläuterungen und Begründungen. Herausgeber: Beratungsstelle für Schadenverhütung des Verbandes für Haftpflicht-, Unfall-, Auto- und Rechtschutzversicherer e.V.

[41] Niewöhner et al. (2004). Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern an Kreuzungen durch rechts abbiegende Lkw, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. BASt

[42] Die Geschichte beider Organisationen ist geprägt von intensiver Zusammenarbeit. Ebenso gibt es immer wieder personelle Verflechtungen der Unfallforschung der Versicherer (UDV, ehem. Beratungsstelle für Schadenverhütung des HUK-Verbandes) und des Vereins FGSV. Der Kommentar des ERA-Vorgängers von 1982 (Pfundt) und auch andere Druckerzeugnisse wurden von der Beratungsstelle für Schadenverhütung des HUK-Verbandes veröffentlicht. Doppeltätigkeiten von Personen gab und gibt es bei Konrad Pfundt (1957-1992: Arbeit beim Vorgänger der UDV, 1972: Leiter; 1963-1998: Leiter Ausschuss Technische Fragen der Verkehrsordnung, FGSV); Dankmar Alrutz (1978-1982: Arbeit beim Vorgänger der UDV aber auch „Vater der ERA“ (Autor der Ausgaben 1982, 1995 und 2010) oder aus der jüngeren Geschichte Jörg Ortlepp (seit 2008: u.a. Leiter der Verkehrsinfrastruktur bei der UDV und Mitarbeiter mehrerer Ausschüsse und Leiter Ausschüsse 2.5 „Radverkehr“ und 3.4 „Technische Fragen der Verkehrsordnung“ der FGSV.)

[43] Schnüll et al. (1992). Sicherung von Radfahrern an städtischen Knotenpunkten. BASt

[44] Haag et al. (2010)

[45] Schwendy (2018): https://www.darmstadtfaehrtrad.org/?p=1155 Darmstadt fährt Rad. s.a. Radverkehrsatlas Darmstadt fährt Rad: Datenebene 3-1: https://umap.radentscheid-darmstadt.de/de/map/radverkehrsinfrastruktur-in-darmstadt_2#12/49.8823/8.6587

[46] Z.B. s. Schwerpunktaktion DVR wie vor: „Radfahrende sollten daher: an Kreuzungen entweder vor oder mit Abstand rechts hinter einem Lkw stehen und sich dadurch sichtbar machen, nicht direkt neben einem Lkw stehenbleiben, denn dort werden sie leicht übersehen und sie selbst sehen die Blinker des Lkw nicht, sich vergewissern, dass sie vom rechtsabbiegenden Verkehr wahrgenommen werden und bei unklaren Verkehrssituationen lieber auf den eigenen Vorrang verzichten.“ Viele dieser Tipps sind in der Praxis gar nicht umsetzbar. So ist z.B. die Infrastruktur an Kreuzungen in Deutschland so ausgelegt, dass der Radverkehr an der Ampel direkt neben Lkw zum Stehen kommt. Dort kann er nicht ausweichen und auch keinen direkten Sichtkontakt zum Fahrer herstellen.

[47] Buten und Binnen (15.04.2003) Im Fernsehbeitrag wird auch die Weigerung der Fahrzeughersteller angesprochen, defizitären Fahrzeugtechnik etwa durch Kameratechnik auszugleichen. Auch das Thema getrennte Ampelphasen wird schon diskutiert. Ein Reporter spricht auf einen Kommentar eines Unfallgutachters, der die Schuld beim Lkw-Fahrer sucht, klar aus, wer nach seiner Ansicht an erster Stelle der Verkehrssicherheitskette kommt: „Der Lkw-Hersteller!“ (min 2:05). Der Gutachter entgegnet darauf, dass Hersteller den toten Winkel gar nicht zu 100 % ausräumen könnten. Der zitierte Ausschnitt stammt von 1984.

[48] ERA (2010). Tabelle 4. FGSV

[49] Mehr zum Thema Unfallkommissionen in diesem Beitrag

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