PIMP DEIN‘ RADWEG N°3 – Heidelberger Straße

Pimp dein Radweg Titel

Heidelberger Straße

Strecke Bessungen – Neuplanung Stadt Darmstadt

Die Heidelberger Straße ist Teil der wichtigen Nord-Süd-Hauptachse. Die Strecke in Bessungen zwischen Prinz-Emil-Garten und Moosbergstraße verfügt momentan über keine Radverkehrsanlage. Der Radfahrstreifen hört stadtauswärts kurz vor der Tankstelle gegenüber des Prinz-Emil-Gartens auf und erst ab der Moosbergstraße gibt es wieder einen Radweg. Stadteinwärts gibt es dann zumindest ab der Niederstraße wieder einen Schutzstreifen.

Noch dieses Jahr soll es einen Umbau der Heidelberger Straße geben. Die Stadt plant auch dort, die Lücke zu schließen im Radverkehrsnetz. Das ist eine gute Nachricht für den Radverkehr. Weil uns die jüngsten Ergebnisse zum Thema Infrastruktur für den Radverkehr in Darmstadt eher ernüchternd haben, wollen wir hier mal ein detaillierteren Blick auf die Planung für die Heidelberger Straße werfen.

Die Planungsstrecke ist ca. 500m lang. Zwischen Bessunger Straße und Moosbergstraße ist der Straßenquerschnitt am engsten. Südlich der Kreuzung Bessunger Straße liegt die engste Stelle von knapp 21m Breite.

Im Verkehrsentwicklungsplan (VEP) von 2006 (2001-2005 Wissenschaftstadt Darmstadt, Stete Planung, Habermehl + Follmann) wurde die Strecke auf S. 102 ff schon als eine unter den problematischsten in Darmstadt bezeichnet, aufgrund der hohen Verkehrsbelastung in Kombination mit zu engen Seitenraumflächen. Im Rahmen des VEPs wurden 2 Alternativen entwickelt. Alternative 1 – MIV[1] und ÖPNV getrennt (insgesamt 4 Spuren) und Alternative 2 – MIV und ÖPNV (insgesamt 2 Spuren) gemischt. Die Stadt Darmstadt hat einen Kompromiss gewählt – MIV und ÖPNV teilweise gemischt und sieht insgesamt drei Spuren für alle vor, die sich nicht mit der eigenen Muskelkraft fortbewegen. Erstmal gut.

aus VEP-Endbericht, Stadt Darmstadt, Jan. 2006, S.104

Die Planunghier der pdf-Plan

Allgemein:
  • Wegfall einer KFZ Spur zwischen Niederstraße und Moosbergstraße. MIV und ÖPNV teilen sich in Zukunft drei Spuren. An Kreuzungen teilweise zusätzlich Abbiegespuren.
  • Dadurch Platzgewinn für einen Radfahrstreifen auf beiden Seiten zwischen 1,50m Breite und 2,00m Breite.
  • Der Radfahrstreifen wird nur teilweise in Kreuzungsbereichen rot eingefärbt.
  • Längsparkstände bleiben bestehen.
  • Neubau Radfahrabstellflächen.
Strecke stadtauswärts – nach Süden:

Der Radfahrstreifen beginnt nach dem bestehenden 1,60m breiten baulich abgetrennten Radweg mit angenehmen 2,0m Breite und ohne begleitende Längsparkstände bis zur Ahastraße. Zwischen Ahastraße und kurz nach der Bessunger Straße verjüngt er sich auf 1,85m, dem Mindestmaß aus der Empfehlung für Radverkehrsanlagen (ERA) und wird rechts begleitet von einzelnen Bordsteinlängsparkständen, Taxiparkstellplätzen und einer Ladezone vor dem Buchladen. Ca. 60m südlich der Kreuzung Bessunger Straße verjüngt sich die Radwegbreite erneut auf 1,50m mit einem sogenannten „Sicherheitstrennstreifen“ von 50cm Breite zu den rechten Längsparkern. Die Strecke wird so geführt bis zur Comedyhall kurz vor der Moosberstraße, wo sich der Radfahrstreifen wieder auf 2,0m Breite erweitert, jedoch direkt an der Moosbergstraße plötzlich endet. Weiter soll hier der Radfahrer im Dualen System[2] (ähnlich Dieburger Straße) entweder auf der KFZ-Rechtabbiegerspur geführt werden, angezeigt durch Fahrradsymbole auf der Fahrbahn oder auf dem bestehenden 1m breiten Bordsteinradweg bis zur Landskronstraße.

Strecke stadteinwärts – nach Norden:

Ein nicht rot eingefärbter Radfahrstreifen führt in einer Breite von 1,50m über die Kreuzung Landskronstraße bis zur Moosbergstraße. Von der Moosbergstraße bis zum bestehenden Radstreifen vor dem Prinz-Emil-Garten hat der Streifen 1,85m Breite mit 50cm Sicherheitstrennstreifen neben Längsparkern und ist teilweise rot eingefärbt. Der den Park begleitende bestehende Radfahrstreifen ist durchgängig rot eingefärbt und verengt sich an der Kreuzung zur Hermannstraße auf 1,42m Breite. Der Bestand wird nicht angetastet. Nach der Hermannstraße führt der Radweg im Bestand auf den Bordstein in der Breite von ca. 1,60m.

Genordeter Ausschnitt der Planung auf Höhe Sandbergstraße:
Plan-Ausschnitt Wissenschaftsstadt Darmstadt Magistrat, 2017
Plan-Ausschnitt Wissenschaftsstadt Darmstadt Magistrat, 2017
Im Querschnitt sieht es in Richtung Besssunger Straße von der Sandbergstraße in etwa so aus:

Analyse

Das Regelwerk Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA[3]) gilt in Deutschland als das Standardwerk für den Bau von Radinfrastruktur. Die Einhaltung ist in vielen Bundesländern Pflicht. Sie gibt unter anderem -wenn auch eher dürftig-  Empfehlungen zur Breite von Radstrecken vor.

Für Radfahrstreifen gibt die ERA ein Mindestmaß von 1,85m plus mindestens 50cm Sicherheitstrennstreifen zu Längsparkern vor.

In der Praxis stellt man schnell fest, dass dieses Mindestmaß nicht funktioniert. Hält der Radfahrer eine Autotürbreite Abstand zu den parkenden Autos (das ist Pflicht) dann bleiben ihm zur linken KFZ Spur noch 35 cm. Damit kann kein weiterer Radfahrer überholen. Ein Radfahrer mit Kinderanhänger oder Lastenrad wird hier zwangsläufig auf der Straße fahren. Das ist aber weder gut noch ist es erlaubt. Denn ein Radfahrstreifen wird in der Regel im Gegensatz zum Schutzstreifen benutzungspflichtig gekennzeichnet. (Was sind Radfahrstreifen, was Angebots- oder sogenannte Schutzstreifen?)

Die Planung hingegen hält nicht einmal die Mindestmaße des Regelwerkes auf einer Teilstrecke ein, unterschreitet das Maß um 35cm (gelb markiert in den Plänen) und ist für die alltägliche Fahrradpraxis nur ein ungenügender Mehrgewinn.
  • Warum wird im Zusammenhang dieser Planung nicht das südlichste Stück zwischen Moosbergstraße und Landskronstraße als baulich abgetrennter Radweg ausgebaut?
  • Warum wird an einer durchgängig roten Einfärbung gespart, welche nachgewiesenermaßen[4] deutlich die Aufmerksamkeit auf den Radfahrer erhöht?
  • Nicht nachzuvollziehen ist auch, warum an der kurzen Engstelle zwischen Sandberg und Moosbergstraße nach der neuen Planung gerade der Radverkehr Flächeneinbußen hinnehmen muss, während für den fließenden und ruhenden motorisierten Verkehr die Anzahl der Spuren beibehalten werden, zumal man unter den Verkehrsplanern der Stadt davon ausgeht, dass sich der schnelle MIV auf den Donnersbergring verlagern wird.
  • Diese Art der Fahrrad-Infrastruktur schließt die ängstlicheren unter den Radlern aus. Sie ist keine Lösung, die Kinder und ältere Menschen benutzen werden.

Lösungsansatz

Auf wundersame Weise hat in den deutschen Kommunen der Glaube Einzug erhalten, dass Radfahrer neben der Straße zu führen sind, weil sie dort am sichersten wären.

Die Erfahrungen aus den Niederlanden und Dänemark beweisen das Gegenteil. Die Zahlen der Unfallopfer sprechen für eine bauliche Abtrennung.

Gegen Radfahrstreifen ist an Engstellen wie dem vorliegenden Streckenabschnitt zunächst einmal nichts einzuwenden. Manchmal geht es nicht baulich getrennt. Auch nicht in den Niederlanden. An Engstellen kann es passieren, dass alle Verkehrsmitteltypen Einbußen hinnehmen müssen.

Liegt hier jedoch der Ausnahmefall vor? Wie könnte aber die Planung an der Heidelberger Straße alternativ aussehen.

Wir müssen festhalten, dass es sich hier lediglich um 250m Engstelle handelt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es auf diesem kurzen Teilstück zu Verzögerungen im ÖPNV kommt ist sehr gering.

Die Niederländer hätten die Straße so geplant:

Die motorisierten Fahrzeuge erhalten zwei Streifen in der Mittelzone. In den Randbereichen entstehen je fünf Meter breite Zonen mit höherer Aufenthaltsqualität für die nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer. Die Zonen kommen ebenso den Läden und Restaurants zugute. An den Kreuzungen können die Radwege auf Höhe der Parkstände verschwenkt werden, um Abbiegerspuren für den KFZ-Verkehr zu schaffen, und um den Radverkehr sichtbarer zu machen. Die Einfahrten in die sekundären Straßen könnten leicht angerampt werden, sodass die Geschwindigkeit beim Abbiegen automatisch gedrosselt wird.

Ein Beispiel aus Amsterdam. (Quelle: Google)

Wir appellieren an die Stadt Darmstadt, die Verwendung von Radfahrstreifen als Allheilmittel zu überdenken und die Planung für die Heidelberger Straße zu korrigieren, so dass die Mindestmaße aus den Regelwerken eingehalten werden, die den Stand der Technik darstellen.

Nur so kann ein Produkt entstehen, das für alle Typen Radfahrer funktioniert, um somit den Anteil des Radverkehrs in Darmstadt zu erhöhen.

++++++++++++++++  UPDATE 14.06.2017  ++++++++++++++++++

Die Stadt Darmstadt hat bei der Planung versucht, Kompromisse einzugehen. Kosten sollten gespart werden durch den Verbleib des Schienenverlaufs der Straßenbahnen. Ebenso sollten die Bäume im Bestand auf der Westseite erhalten werden. Dadurch bleibt für den Radfahrstreifen auf der Westseite nur 1,50m Breite. Diese Breite unterschreitet wie geschrieben die Mindestbreite der Normen. Das ist auch in Ausnahmefällen nicht hinnehmbar, weil man davon ausgeht, dass dadurch eine erhöhte Unfallgefahr entsteht. Der Grundsatz lieber schmal als gar nichts, darf nicht gelten. Die Beibehaltung des Straßenbahnverlaufs ist nachvollziehbar. Ebenso die Erhaltung der Bäume, obwohl durch die Steigerung des Radverkehrs am Ende eine positive Umweltbilanz zu erwarten ist. Allerdings haben eben ausgewachsene Bäume ihre Qualitäten (auch für die Anwohner) und sollten möglichst erhalten werden. Wie ein echter Kompromiss aussehen kann, zwischen Kostenminimierung und Sicherheit und Mehrgewinn für den Radverkehr zeigt folgender Straßengrundriss auf Höhe der Sandbergstraße (Norden links):

Auch bei einer Beibehaltung von Schienen und Bäumen ist die Anlage von Radwegen möglich. Diese können in ausreichender Breite zum Überholen von Rädern (ca.2,1m) und mit einem ausreichenden Sicherheitstrennstreifen von 50cm angelegt werden, um Unfälle durch Türöffnen der parkenden Autos (Dooring) auf Beifahrerseite zu verhindern. Auf der Westseite entsteht ein breiterer Gehsteig. Parken ist möglich, eine Neuanpflanzung von Bäume ebenso. An den Problemstellen Kreuzungen kann durch kleine Rampen die Geschwindigkeit gedrosselt werden. Eine Freihaltung der Vorzonen (z.B. durch Radabstellanlagen) schafft freie Sicht auf die Radfahrer.

Die Rot-Markierung der Radfahranlagen ist durchgängig und unterstützt so die Wahrnehmbarkeit der Radfahrer.


[1] MIV – Motorisierter Individualverkehr

[2] Duale System: Langsame, ängstliche Radfahrer auf dem maroden, viel zu schmalen 80er Jahre Radweg oder Gehweh, Schnelle auf die Gass

[3] ERA – Empfehlung für Radverkehrsanlagen – 2010, ist in Hessen im Gegensatz zu z.B. Baden-Württemberg nicht verbindlich eingeführt.

[4] Studie Uni Delft (Van Goeverden und Goodefroi 2011)

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