Ein Darmstädter Radverkehrs-Jahresrückblick – Teil 3
IN KÜRZE
2021 war das dritte Jahr nach den Verhandlungen des Radentscheids Darmstadt mit der Stadt Darmstadt. In den vergangenen Jahren wurde neben einer städtischen Radstrategie und dem sogenannten 4×4-Sonderprogramm Investition Radverkehr (16 Mio. € in 4 Jahren) auch ein dazugehöriger Maßnahmenkatalog mit 34 Maßnahmen beschlossen, die das Radverkehrsnetz der Stadt verbessern sollen. Der vorliegende jährlich erscheinende Jahresrückblick, bietet eine Übersicht über den Fortschritt der Umsetzung dieser Maßnahmen. Die Maßnahmen werden sortiert, bewertet und tabellarisch und grafisch dargestellt. 2021 war aber auch das zweite Coronajahr, das die Entwicklung der Radverkehrsinfrastruktur wieder einmal ausgebremst hat. 2021 ist in Darmstadt für den Radverkehr weniger umgesetzt worden als in den Jahren zuvor. Dem Grunde nach beginnt mit 2022 das vierte Jahr nach der Gründung des Radentscheids. Ursprünglich war geplant, die beschlossenen Maßnahmen in den vier Jahren umzusetzen.
Dies ist der dritte Bericht zu den Radverkehrsmaßnahmen nach dem Radentscheid. Ab sofort werden die Rückblicke in verkürzter Form vorwiegend tabellarisch und grafisch dargestellt. Bei diesem Jahresrückblick werden folgende Planungsaktivitäten erfasst:
- Alle in 2021 umgesetzten Radverkehrs-Maßnahmen: Basis dieser Analyse sind die Quartalsberichte der Stadt Darmstadt, die die umgesetzten Maßnahmen pro Quartal zusammenfassen. Einige, wirklich kleine Maßnahmen (Verkehrszeichen,…) werden nicht aufgeführt. In den Berichten von 2021 sind einige Doppelungen vorhanden. In einem Fall wurden Teile der umgesetzten Maßnahmen der Gemarkungsgrenze von Weiterstadt im Bericht eingerechnet. Dies wurde jeweils korrigiert.
- Leistungsstand der 34 Maßnahmen, die bei den Verhandlungen im Rahmen des 4×4-Sonderprogramms Radverkehr mit dem Radentscheid von den Stadtverordneten festgelegt wurden.
Parallel dazu werden die Maßnahmen in der Analyse des Radverkehrsnetzes und in der dazugehörigen Radverkehrsnetzkarte aktualisiert.
Wer mehr wissen will zur Geschichte des Darmstädter Radentscheids, bitte hier entlang zu
Alle in 2021 umgesetzte Radverkehrs-Maßnahmen
Den großen Maßnahmen wird jeweils eine Qualitätsstufe zugeordnet:
Qualitätsstufen
- Radentscheidsiegel: Streckenelemente müssen geschützte Radwege aufweisen mit mindestens 2,3m Breite. Kreuzungen müssen als Schutzkreuzungen ausgeführt werden, angehobene Kreuzungsbereiche an Einmündungen, Maßnahmen an Nebenstraßen, die das Radfahren erleichtern.
- Radstrategie: restliche Maßnahmen gemäß Radstrategie
- ERA: Maßnahmen nach ERA (diese gehen oft über die StVO hinaus)
- StVO: Restliche Maßnahmen
Kleinmaßnahmen und andere Maßnahmen wurden nicht bewertet. Es wird davon ausgegangen, dass alle Kleinmaßnahmen wichtig und gut sind und dem Qualitätsstandard des Radentscheids entsprechen. (bspw. Abstellanlagen, Poller,…)
Download umgesetzte Maßnahmen 2021.pdf
Zum Vergleich die Maßnahmen von 2019 und 2020:
Der Jahresvergleich zwischen 2019 und 2021 stellt sich wie folgt dar:
Die wichtigsten Analyseergebnisse für 2021
- Die Anzahl der umgesetzten Radverkehrsmaßnahmen an Hauptstraßen, Nebenstraßen, Knotenpunkten und Kleinmaßnahmen ist im Vergleich zu 2020 um 30% gesunken.
- Das Radentscheidsiegel kann für 2021 dreimal nur für kleine Nebenstraßenprojekte vergeben werden.
- Ein großes Leuchtturmprojekt mit wegweisendem Charakter analog zu den Protected Bikelanes in der mittleren Rheinstraße oder die Landgraf-Georg-Straße ist 2021 nicht dabei.
- An Hauptstraßen konnten rund 1,2 km Radweg in mindestens der Qualität der ERA 2010 hergestellt werden (zum Vergleich: Radentscheid Ziel 2: 5 km Radwege an Hauptstraßen).
- An Nebenstraßen wurden auf knapp 1,5 km Maßnahmen für den Radverkehr umgesetzt. D.h. es wurden 700 m Radweg gebaut, auf einer Länge von 370 m wurden Einbahnstraßen freigegeben. Der Rest bezieht sich auf Verbesserungen der Oberfläche. (zum Vergleich: Radentscheid Ziel 4: 5 km attraktive Nebenstraßen)
- Von Ziel 3 des Radentscheids – Sichere Kreuzungen nach niederländischen Vorbild wurde 2021 wieder keine einzige Kreuzung umgesetzt. Eine einzelne Maßnahme an einer Kreuzung sorgte 2021 durch Markierungsarbeiten für mehr Sicherheit für Radfahrende.
- Die Maßnahmen in Bezug auf Radentscheid Ziel 6 (Bordsteinabsenkungen) und 7 (Anhebungen von Einmündungsbereichen: Teilaufpflasterungen) wurde bislang nichts umgesetzt. Dabei ist das an nichtsignalisierten Kreuzungen, die effizienteste Maßnahme für die Sicherheit und den Komfort von Fuß Gehenden und Radfahrenden.
- Im Bereich von Kleinmaßnahmen wurden 31 Maßnahmen umgesetzt. (Abstellanlagen, Poller,…) Aber selbst diese Zahl beträgt nur die Hälfte der Maßnahmen von 2019.
- In 2021 hat die Stavo beschlossen, die vier (von ursprünglich fünf geplanten) 2020 eingerichteten Verkehrsversuche zu verstetigen. Der Beschluss ist ein großer Erfolg 2021, aber umgesetzt werden soll er erst 2022.
Leistungsstand der 34 Maßnahmen des 4×4 – Sonderinvestitionsprogramms Radmobilität
Um einen Überblick zu haben über den Stand der Umsetzung aller 34 Maßnahmen speziell aus dem 4×4 Sonderprogramm Investition Radverkehrsförderung wurde folgende Tabelle erstellt. Diese wird jedes Jahr aktualisiert. Die blauen Balken in der mittigen Spalte zeigen den Fortschritt der Projekte an. Im Idealfall wären spätestens 2023 alle Fortschrittsbalken blau. Die blauen Markierungen in der rechten Spalte zeigen die Jahreszahlen. Je dunkelblauer die Markierung desto aktueller ist die geplante Umsetzung. Gelbe Felder deuten auf verzögerte Maßnahmen:
Download 34 Maßnahmen 4×4 Sonderprogramm 2021.pdf
2021 konnten nur wenige Maßnahmen dieser vereinbarten Liste umgesetzt werden. In den letzten 3 Jahren wurden bislang insgesamt 15 Maßnahmen von 34 angefangen oder abgeschlossen. Bei 19 Maßnahmen wurde noch nicht mit der Umsetzung begonnen. Die Anpassung der Maßnahme 24 (Teichhausstraße), der Radweg nach Weiterstadt und andere Projekte bringen den Leistungsstand 2021 von 19% (2020) auf 27%.
Leistungsstand der Maßnahmen in Radentscheid-Qualität
Der Radentscheid hatte für die Infrastrukturmaßnahmen ursprünglich bestimmte Quantitäten in einer guten Qualität pro Jahr gefordert. So sollten 5km sichere Radinfrastrukturmaßnahmen je an Haupt- und Nebenstraßen Maßnahmen und 3 sichere Kreuzungen pro Jahr umgesetzt werden. Folgende Grafik stellt den Leistungsstand in Radentschied-Qualität in den drei Jahren zwischen 2019-2021 dar:
So sind an Hauptstraßen in der 3-Jahresbetrachtung ca. 15%, an Nebenstraßen ca. 33% der ursprünglich geforderten Menge und an Kreuzungen keine einzige Maßnahme in Radentscheidqualität umgesetzt worden.
Qualität der Radwege an Hauptstraßen
An den Hauptstraßen konnten Radverkehrsanlagen sicherer gemacht werden. So hat der Anteil der Hauptstraßen mit sicheren Radverkehr die 10%-Marke überschritten. Im Vergleich zu 2020 konnte dieser Anteil um ein gutes 1% gesteigert werden. Diese Daten konnten durch die Anpassung des Qualitätschecks der Radverkehrsanlagen 2019 ermittelt werden. Die Analyse wird jedes Jahr angepasst.
Zum Vergleich 2020:
Fazit
Die Zahl der umgesetzten Maßnahmen hat in 2021 in etwa im gleichen Maße abgenommen wie zwischen 2019 und 2020. Die Corona-Pandemie trägt sicherlich eine Hauptschuld an diesem Leistungseinbruch, kann dies jedoch nur zum Teil entschuldigen. 2021 konnte kein einziges Leuchtturmprojekt umgesetzt werden.
Doch es gibt viel Grund zur Hoffnung, dass das Tempo in den kommenden Monaten zunimmt. Für 2022 hat die Stadt Darmstadt einige Pläne. So werden die Verkehrsversuche von 2020 verstetigt und es startet mit dem Projekt SQUADA die Umsetzung einer Schutzinselkreuzung an der Kreuzung der Landgraf-Georg-Straße mit der Teichhausstraße. Auch Hessen Mobil ist weiter aktiv. So werden einige Radverbindungen in den Landkreis hergestellt und auch der Radschnellweg nach Frankfurt nimmt wieder Fahrt auf. Über 70% der noch nicht umgesetzten 34 Maßnahmen müssten in der Theorie in den kommenden Monaten umgesetzt werden, um das 4×4-Sonderprogramm einzuhalten wie geplant. Wird die Geschwindigkeit der Umsetzung der 34 Maßnahmen des 4×4-Programms beibehalten, so wird es weitere 10-12 Jahre dauern, das Programm fertigzustellen. In Bezug auf die Qualität der Radverkehrsanlagen an Hauptstraßen, hätte man in 13 Jahren an 50% aller Hauptstraßen sichere Radwege.
Budget
Der Haushalt zum Sonderinvestitionsprogramm 4×4 Mio. wurde im April 2019 genehmigt. (++++ Änderung/Ergänzung aktuelle Zahlen vom 12-03-2022:++++) Laut einer Antwort auf eine kleine Anfrage des Stadtverordneten Lehmann (SPD) sind von 2019-2021 3,8 Mio. € auf das Konto des 4×4-Programms gebucht worden. Das entspricht 24 % des Gesamtbudgets. In den Jahren 2022-2023 (und teilweise darüber hinaus) werden weitere 8,9 Mio. € investiert. [Vorheriger Text: Laut Oberbürgermeister wurden seitdem bis Anfang August 2020 ca. 1 Mio. € auf das Konto des 4×4-Programms gebucht. Bis Ende 2020 wurden laut einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke nochmals Ausgaben von ca. 1 Mio. € geschätzt. Wieviel in 2021 für den Radverkehr investiert wurde, ist noch nicht veröffentlicht. Die Zahlen werden an dieser Stelle ergänzt, wenn sie vorliegen. Im Parlamentsinformationssystem sind einige Projekte (auch jenseits der 34 Maßnahmen) aufgeführt, die auf das Budget des 4×4-Programmes gerechnet wurden. Vermutlich wird es wieder ca. 1 Mio. € sein, die pro Jahr investiert wurde. Geschätzt wurden in den ersten 3 Jahren des vierjährigen Programms erst 3 Mio. von den 16 Mio. € ausgegeben. Das sind unter 20%.]
In den öffentlichen Nahverkehr hat die Stadt Darmstadt in den drei Jahren zwischen 2019 und 2021 ca. 80 Mio. €, in den übrigen Straßenverkehr ca. 75 Mio. € investiert. Im Vergleich zu den Investitionen in den Radverkehr ein beunruhigendes Ungleichgewicht. Umso unverständlicher wird es, wenn man sich daran erinnert, dass die gesamte Gesellschaft jedes Auto mit durchschnittlich 5.000 € pro Jahr subventioniert, von jedem, mit dem Rad gefahrenen, Kilometer jedoch 30 Cent Gewinn macht.
In der Tendenz stimmt die Richtung, die Darmstadt eingeschlagen hat. Um das selbst gesteckte Ziel der Stadt „eine fahrradfreundliche Stadt mit einer einladenden und sicheren Infrastruktur für alle Menschen, die Radfahren wollen.“[1], tatsächlich zeitnah umzusetzen, muss dringend an Strategien zur Steigerung des Umsetzungstempos gefeilt werden. Nach dem jüngst veröffentlichten Bericht des Weltklimarats IPCC[2] sollte eigentlich dem letzten Politiker klar geworden sein, dass jeder Euro hinterfragt werden muss, der heute noch in den motorisierten Individualverkehr investiert wird.
[1] Radstrategie Stadt Darmstadt
[2] Nach dem kürzlich veröffentlichten 2. Teil des IPCC Sachstandsberichtes (2022) werde sich die Erde bereits 2030 um 1,5 Grad erwärmen d.h. zehn Jahre früher, als 2018 prognostiziert.