MIT HANDICAP IN DARMSTADTS OSTEN

Judenteich Perspektive 2

DIE POSSE DES BAHNÜBERGANGS AM JUDENTEICH/BOTANISCHER GARTEN

IN KÜRZE

Seit fast 20 Jahren exisitert das Edelsteinviertel als Wohngebiet. Bis heute gibt es östlich des Ostbahnhofs keine für alle nutzbare Wegeverbindung zwischen dem Edelsteinviertel und dem Woogsviertel. Der bestehende unbeschrankte Bahnübergang ist veraltet, nicht barrierefrei und nicht ausgelegt auf heutige Intensität und Nutzergruppen.

Sowohl eine Schrankenanlage, als auch das, von der Stadt Darmstadt als alternativlos definierte, Brückenbauwerk sind Projekte, die sich noch über mehrere Jahre hinziehen. In der Zwischenzeit braucht es eine Interimslösung, die es allen ermöglicht diesen Übergang sicher und komfortabel zu nutzen.

HINTERGRUND

Über 20 Jahre alt ist die Geschichte des Edelsteinviertels, eines ehemaligen Gewerbegebietes, von dem heute noch wenig erhalten ist. Fast das gesamte Areal wird heute als Wohngebiet genutzt mit Ausnahmen von einzelnen Gewerbetreibenden, u.a. dem Hofgut Oberfeld und dem Holzhandel Gentil. Zum Zeitpunkt der städtebaulichen Entwicklung ging man noch davon aus, das Edelsteinviertel mit dem Woogsviertel im Süden zusätzlich zur Schranke am Ostbahnhof über drei weitere Überwege zu erschließen.[1]

Edelsteinviertel geplante Erschließung
Edelsteinviertel geplante Erschließung

Die einzige heute existierende Verbindung ist ein alter unbeschrankter Bahnübergang, der den Judenteich mit dem Botanischen Garten verbindet.

Edeslsteinviertel Schulwegplan
Edeslsteinviertel Schulwegplan

Seit der Aufstellung des Bebauungsplans O17[2] vor fast 20 Jahren wird die Wissenschaftsstadt Darmstadt und Deutsche Bahn regelmäßig von unterschiedlichen Stellen über den bis heute schlechten Zustand des Bahnübergangs aufmerksam gemacht. Mittlerweile wird der Übergang nicht nur von Grundschulkindern (s. Schulwegplan links) genutzt, für die der Bahnübergang auf dem Weg zu Ihrer Grundschule Elly-Heuss-Knapp im Woogsviertel liegt. Die Verbindung wird ebenfalls durch viele Studierende, Alltagsnutzer* und Ausflügler*innen genutzt. Der Bahnübergang ist dreigeteilt in den Überweg über das ehemalige, heute ungenutzte, Gleis der Museumsbahn Kranichstein (1.) (Aufsicht über diese Strecke hat das Regierungspräsidium Darmstadt), in das Brückenbauwerk über den Trog der Bundesstraße 26 (2.), sowie einer weiteren Gleisquerung über die Odenwaldbahn im Süden am Botanischen Garten (3.) (Betreiber dieses Gleises ist die DB Netz AG). Auf diesem Gleis verkehren unter der Woche etwas mehr als drei Züge die Stunde.

Auf Initiative von Darmstadt fährt Rad wurde wenigstens die Umlaufsperre am nördlichen Gleis entfernt, sodass das Queren von diese Teilstück erleichtert wird. Doch viel bringt das nicht, denn der zweite südliche Überweg stellt für viele Nutzer eine unüberwindbare Barriere dar. Menschen in Rollstühlen, Elektrogehhilfen, Fahrradanhängern oder Lastenräder können diesen Überweg gar nicht oder nur schwer nutzen. In Bezug auf diese behindernde Umlaufsperre und die angrenzenden Wege weisen die Stadt Darmstadt und die DB Netz AG seit Jahren die Verantwortung von sich.

Luftbild_Areal

Und nicht einmal die Wartung des südlichen andienenden Weges wird durchgeführt, sodass man wenigstens trockenen Fußes davonkommt (s. Foto zu 3.). Die Stadt Darmstadt sieht die Verantwortung hier bei der TU Darmstadt. Der Weg gehöre zum TU-Gelände.

Bislang wurden neben der Verbesserung der Nutzbarkeit und der Sicherheit des bestehenden Bahnübergangs auch Alternativen wie eine Schrankenanlage, und eine Brücke angedacht. Die Stadt Darmstadt hatte 2020 jedoch bekräftigt, dass eine Brücke die einzige machbare Querungslösung ist.

Luftbild
Die Übersicht des Bereichs südöstlich des Ostbahnhofs zeigt die Bedeutsamkeit der Lage des Bahnübergangs auf einer wichtigen städtischen Achse zwischen Edelsteinviertel und Woogsviertel u.a. als Verbindung zwischen Bildungs- und Freizeitzielen.

Für den Fuß- und Radverkehr ist der Ort des Bahnübergangs die wichtigste Verbindung zwischen Edelsteinviertel/Rosenhöhe und Woogsviertel/Lichtwiese. Der Froschweg etwas weiter westlich ist als gemischter Geh- und Radweg völlig überlastet und nicht geeignet. Die nächste nutzbare Verbindung ist erst die Beckstraße westlich des Woogs. Im Osten gibt es für den Fuß- und Radverkehr keine zumutbare Option.


BISHERIGE LÖSUNGSANSÄTZE

2012 kam es zu einem Beinaheunfall mit einem Dreijährigen. Nach verschiedenen Anfragen durch Initiativen und Fraktionen[3] (s.u.) und einer Verkehrsschau 2013, wurde die Prüfung eines Aufweitens des Drängelgitters (Umlaufsperre) seitens der DB Netz AG versprochen.[4] Es wurde jedoch auch darauf hingewiesen, dass der Übergang mit seinen Umlaufsperren den Regelwerken entspricht. Mit dem Argument, dass für die Umlaufsperre der Bestandsschutz gälte, sieht die Bahn keine Veranlassung, diese zu ändern. Eine Alternative sei die Ausstattung des Übergangs mit einer Schrankenanlage.

Im Zuge der Vorbereitung der Landesgartenschau [5] (s. Planausschnitt), die 2022 hätte stattfinden sollen, wurde daher 2015 die heute schon 20 Jahre alte Idee einer Brücke über B26 [6] und Gleiskörper als vorzuziehende Maßnahme [7] aufgegriffen. Das Projekt wurde jedoch aufgrund des Verzichts auf die Landesgartenschau vertagt. 2019 kam wieder Bewegung in das Thema [8].

Landesgartenschau

Ebenfalls 2019 wurde durch die Stadtverordnetenversammlung beschlossen, mit der Bahn über eine Schrankenanlage zu verhandeln [9]. Doch am 04.08.2020 gibt die Stadt bekannt, dass eine Brücke die einzige Lösung für eine Querung sei.

Eine Brücke würde laut Stadt ca. 5-7 Mio. € kosten [10]. Die Fuß und Rad-Brücke an der Rheinstraße kostete 6,8 Mio. €. Ihr Bau hat 14 Jahre gedauert. Eine ähnliche Zeit kann für die Brücke im Edelsteinviertel angenommen werden.

Eine Schrankenanlage wird laut Aussagen der Bahn ca. 400.000 € kosten. Kosten, die jedoch von der Stadt übernommen werden müssten. Die Fertigstellung einer Schranke könne erst in 5 Jahren nach Auftrag erwartet werden.

Im Hinblick auf die wertvolle Zeit, die mittlerweile vergangen ist, um eine adäquate Erschließungslösung und Verbindung zu finden, ist eine fünf oder 15-Jahres-Perspektive keine Perspektive, mit der die Nutzer dieser Wegebeziehung leben können. Vor allem die jetzige Schulweglösung nicht weitere 10-15 Jahre hinnehmbar.[11]

EINE INTERIMSLÖSUNG IST MÖGLICH UND NOTWENDIG

Judenteich_Lastenrad

Die Eisenbahn Bau und Betriebsordnung – EBO schreibt in § 2 Abs. 3 zur Anwendung dieser Vorschriften, „dass die Benutzung der Bahnanlagen […] durch behinderte Menschen und alte Menschen sowie Kinder und sonstige Personen mit Nutzungsschwierigkeiten ohne besondere Erschwernis ermöglicht wird.”[12] Dies ist durch die bestehenden Umlaufsperren nicht gegeben. Auch gemäß Behindertengleichstellungsgesetz muss die Nutzung durch Behinderte, „in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis“ möglich sein.

Der Bahnübergang wird als Fußgängerübergang ausgewiesen. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass neben Menschen mit Gehbehinderungen und entsprechenden Hilfsmitteln (Elektrorollstühle, Elektromobile, Sonderbauformen von Rollstühlen) auch Fußgänger die Anlage nutzen, die Fahrzeuge wie Fahrräder durch die Sperre schieben. Während mit besonders breiten Lastenrädern (wie Dreirädern oder beispielweise die Heinerbikes (s. Bild)) bzw. Rädern mit Kinderanhängern gar nicht passiert werden kann,  wird das Schieben eines kleineren Fahrrads oder Kinderwagens durch die Enge der Umlaufsperre erschwert und verlangsamt (s. Filmausschnitt Tweet unten). Durch komplizierte Rangiervorgänge wird ein Abfließen der querenden Personen verzögert, was dazu führt, dass ein zügiges Verlassen des Gleisbereichs erschwert wird. Dies kann zu Rückstaubildung im Gefahrenbereich führen.

Auch im Hinblick auf die gestiegene Nutzerzahl ist die bestehende Umlaufsperre nicht mehr zeitgemäß. Eine Umlaufsperre nach neuem DB-Regelwerk von 2012 gibt eine Durchgangsbreite von 1,50m vor (s. Skizze[13]).

Skizze Richtlinie Umlaufsperre 2012

Die Umlaufsperre so wie sie im Bestand ausgeführt ist, stellt also unter Berücksichtigung der heutigen Nutzungsänderung eine erhöhte Gefahr dar, als zu dem Zeitpunkt ihrer Errichtung.

In der fachtechnischen Stellungnahme AG TM2012-238 der DB Netz (s. Ausschnitt unten) wird ebenfalls auf die Nutzungseinschränkungen von engen Anlagen und die damit verbundenen Sicherheitsrisiken hingewiesen: Es sei davon auszugehen, „dass mehr Aufmerksamkeit auf das Passieren der engen Umlaufsperren gelegt wird, als auf das sichere Queren der Bahngleise.“ „Wie im Kommentar zur EBO ausgeführt, haben die Umlaufsperren vorrangig die Aufgabe, den Verkehrsteilnehmer daran zu hindern, den Bahnübergang (BÜ) „blindlings“ zu betreten. Dieser Schutzzweck bleibt auch bei Umlaufsperren mit größeren Öffnungsmaßen erhalten.“[14]:

Stellungnahme DB Netz
Auszug aus der Stellungnahme der DB Netz AG TM2012-238.

Eine Veränderung der Umlaufsperre am Gleis der Odenwaldbahn nach aktuellem Regelwerk und gemäß EBO §11 (9) ist auf der Nordseite problemlos möglich, auf der Südseite in etwas abgewandelter Form. Hier kann jedoch aufgrund der konkaven Rundung in der Mauer des Botanischen Gartens ein Durchgang geschaffen werden in der Breite, die der heutigen Situation entspricht. Ein Umbau würde die Situation jedoch sicherer machen, die Nutzbarkeit für viele Nutzer erweitern.

Judenteich Perspektive
Bahnübergang Judenteich Entwurf – Perspektive
Judenteich Perspektive 2
Bahnübergang Judenteich Entwurf nach neuestem Regelwerk der DB Netz AG
Judenteich

Auf Basis des Grundsatzes der Barrierefreiheit § 2(3)-EBO (s.o.), aufgrund der Änderung in der Nutzung und den sich damit ergebenen Sicherheitsproblemen und aufgrund der Tatsache, dass ein Umbau der Umlaufsperren mit geringem Aufwand möglich ist, gehen wir davon aus, dass eine Weiternutzung der Bestandsanlage nicht zu rechtfertigen ist.

Eine Schrankenanlage wäre wünschenswert. Die Pläne der Stadt, eine Brücke zu errichten sind löblich und schließen eine wichtige Erschließungslücke. Das allerdings erst in 10-15 Jahren. Eine Schrankenanlage hingegen wäre frühestens in 5 Jahren fertiggestellt.

Die heutige Situation ist eine so lange Zeit nicht mehr hinnehmbar.

Die Wissenschaftsstadt Darmstadt hatte nunmehr seit 20 Jahren die Gelegenheit, die südliche Erschließung des Edelsteinviertels sicherzustellen.

Wir fordern daher die kurzfristige Organisation einer Verkehrsschau, bei der neben den behördlichen Institutionen (DB Netz AG, Straßenverkehrsamt, Polizei) auch Vertreter der Zivilgesellschaft eingeladen werden. So kann die Situation vor Ort und die praktische Nutzung durch unterschiedliche Verkehrsteilnehmer demonstriert werden.

Wir sehen die Stadt Darmstadt nun in der Bringschuld und fordern sie auf, gemeinsam mit der Deutschen Bahn diese kurzfristige, unbürokratische und kostengünstige Interimslösung umzusetzen, um damit eine sofortige sichere Nutzung des Bahnübergangs für alle Nutzer zu ermöglichen.


[1] https://www.darmstadt.de/fileadmin/Dokumente/PDF/formulare/61-Stadtplanungsamt/An_der_Rosenhoehe_o_17.pdf

[2] https://stadtatlas.darmstadt.de/bplan.html

[3] https://spd-darmstadt.de/wp-content/uploads/2021/01/kleine_anfrage-20150302-aktion_mobiles_edelsteinviertel.pdf

[4] https://spd-darmstadt.de/aktuelles/2015/10/06/spd-fordert-ueberbrueckung-des-bahnuebergangs-zwischen-edelsteinviertel-und-botanischem-garten-sicherungsmassnahme-soll-vorgezogen-werden-gefaehrlichster-schulweg-darmstadts/

[5] https://www.darmstadt.de/fileadmin/PDF-Rubriken/Leben_in_Darmstadt/Stadtgruen/LGS_2022_pdf/Maba_2022.pdf

[6] Vorlage 2008/0108

[7] Beschluss SV-2015/0024

[8] https://www.echo-online.de/lokales/darmstadt/verbesserungen-fur-darmstadts-osten_20531056

[9] Beschluss SV-2019-/021

[10] Kleine Anfrage Tim Huß SPD

[11] Es ist anzumerken, dass für die Grundschulkinder des Edelsteinviertel die Route heute alternativlos ist, da eine Schulbusverbindung nicht für alle Schüler*ìnnen zu jedem Schulbeginn angeboten wird. Der Umweg über den Ostbahnhof ist für Grundschüler mit über 2km zu lang.

[12] https://www.gesetze-im-internet.de/ebo/__2.html

[13] Hantschel et al., UDV fb 44, Sicherheit an Bahnübergängen

[14] https://spd-darmstadt.de/wp-content/uploads/2021/01/db_netz_ag-bahnuebergang_am_judenteich-antwort20140911.pdf

Mehr Info: https://www.bue-experte.de/wp-content/uploads/Umlaufsperren_EI_2012.pdf

2 Kommentare

  1. Super Darstellung! Tausend Dank! Uns und unsere Kinder betrifft das Problem täglich. 2 kleine Kinder kann man halt nun mal nur mit dem Fahrradanhänger transportieren. Wir müssen einen deutlichen Umweg über den Ostbahnhof machen und wenn man Pech hat kommt dann noch ein Zug. Das ist gerade im Winter für uns alles andere als schön.
    Dass seit Jahrzehnten nichts passiert ist zeigt wieder mal, dass in Deutschland viel zu viel bürokratische Hürden aufgebaut werden.
    Gab es schon eine Unterschriftenaktion? Wäre schön wenn sich die neuen OB-Kandidaten dazu äußern würden.

    1. @darmstadtfaehrtrad sagt: Antworten

      Hallo CW. Danke für die Blumen und den Kommentar. Von einer Untersschriftenaktion ist nichts bekannt. Es gibt ja einige Veranstaltungen zur OB-Wahl. Da ergibt sich ja bestimmt die Möglichkeit, einer Frage…

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