PIMP DEIN‘ RADWEG N°1 – Cityring

Pimp dein Radweg Titel

Cityring

Strecke Bleichstraße/Zeughausstraße

Bei der Schließung der Lücken im Radwegenetz Darmstadts konzentriert sich die Stadt auf die Nord-Süd Verbindung. Die meisten Fahrradstraßen und auch die aktuellsten Radinfrastruktur-Baustellen (z.B. Frankfurter Straße, Heidelberger Straße) verlaufen in dieser Richtung.

Das hängt vor allem damit zusammen, dass es viel komplizierter ist, eine funktionierende Radwegeverbindung in West-Ost/Ost-West Richtung herzustellen. Von Westen nach Osten führt die Hauptradquerung der Innenstadt im Mischverkehr durch die Fußgängerzone über den Luisenplatz. Wie groß das Konfliktpotential mit Fußgängern, Bussen, Straßenbahnen und Schienen werden kann, kennen alle, die diese Strecke regelmäßig fahren müssen. Eine Strategie für eine Radwegeverbindung in dieser Richtung hat der Magistrat nicht.

In Ost-West Richtung jedoch, hat die Stadt den Cityring auf Höhe Zeughausstraße (vor dem Karolinenplatz) und Bleichstraße (Mathildenplatz bis Steubenplatz) als wichtigste Radhauptroute in Darmstadt eingerichtet. Sie wird von RadfahrerInnen genutzt zwischen allen Stadtteilen nördlich und östlich der Innenstadt und den Zielen im Westen (Hauptbahnhof, Gewerbegebiet Am Kavalleriesand, Hochschule Darmstadt, EFH, Europaviertel). Die Alternative Bismarckstraße ist zu weit nördlich und kommt nur für einige wenige in Frage. Der Luisenplatz ist aufgrund der hohen Kollisionsgefahr keine Alternative für Radler, die zügig vorankommen wollen. Es gibt also für die Strecke auf dem Cityring keine Alternative.

Aufgrund dieser Wichtigkeit hat die Stadt Darmstadt 2013 von der Bleichstraße auf Höhe des Klinikums bis zum Steubenplatz eine Kfz-Spur zurückgebaut für die Herstellung von Radfahrstreifen oder Angebotsstreifen[1]. (Was sind Radfahrstreifen, was Angebots- oder sogenannte Schutzstreifen?)

Diese Infrastrukturmaßnahme für den Radverkehr wurde in einer Pressemitteilung zum Thema im November 2016[2] als Paradebeispiel hervorgehoben. Der Rückbau einer Kfz-Spur ist zunächst einmal ein richtiger erster Schritt. Doch ist damit im Hinblick auf die Alternativlosigkeit dieser Strecke genug getan, damit alle – auch die potentiellen – RadfahrerInnen diese Strecke auch nutzen können? Der Cityring hat eines der höchsten Verkehrsaufkommen Darmstadts mit hohem Anteil an Schwerlastverkehr. Fühlen sich Senioren und Kinder auf diesem Streckenabschnitt sicher? Für wen wurde hier der Radfahrstreifen eingerichtet?

Darmstadt fährt Rad setzt sich ein für ein flächendeckendes Radwegesystem, welches vorwiegend baulich errichtet wird. Aktuelle Studien und die Erfahrungen in Dänemark und den Niederlanden zeigen, dass nur durch eine bauliche Trennung vom MIV[3] (motorisierter Individualverkehr) sich die Menschen zum Radfahren bewegen lassen, weil sie sich sicher fühlen.

Deutschland ist Jahre entfernt, von dem verkehrspolitischen Denken der erwähnten Länder. Die Entwicklung hin zu Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer wurde in Deutschland lange verschlafen, blockiert und bekämpft. Die Maßnahmen der Stadt Darmstadt zum Ausbau des Radwegenetzes genügen teilweise nicht einmal den Minimalvorgaben der aktuellen Regelwerke. Die Einrichtung von Radfahrstreifen und Schutzstreifen ist zum Allheilmittel geworden.

Für die Einrichtung einer würdigen Radinfrastruktur werden Jahre vergehen. Aber wollen wir so lange warten bis Radfahrer sicherer auf den Straßen sind?

Im Rahmen von Pimp Your Radweg soll gezeigt werden, wie in einem ersten Schritt alle vorhandenen Radwege und Radfahrstreifen verbessert werden können, ohne aufwändige und teure Bauarbeiten. Darmstadt fährt Rad fordert eine sofortige Umsetzung solcher Direkt-Maßnahmen auf dem bestehenden Radwegenetz und in einem zweiten Schritt den baulichen Ausbau des Radwegenetzes.

Am Beispiel Bleichstraße/Zeughausstraße wollen wir zeigen, wie eine erste provisorische Verbesserung aussehen kann.

Die vorgestellte Strecke lässt sich einteilen in drei unterschiedliche Abschnitte:

1. Abschnitt: Zeughausstraße vor dem Karolinenplatz

Bestandsaufnahme

Vorhandene Infrastruktur:
  • Radfahrstreifen Breite 100cm (inkl. Linie 25cm) + Rinne 30cm
  • Rechter Fahrbahnrand: Bordstein des Karolinenplatzes, Tiefgarageneinfahrten mit davorgestellten Straßenlaternen
  • Restliche Fahrbahnbreite: ca. 9m; 3 Fahrbahnen
Mindestbreiten nach Regelwerk:
  • Radfahrstreifen: 185cm

Eine Umgestaltung des Karolinenplatzes ist durch den Magistrat verabschiedet worden. Eine Änderung der Radfahrsituation ist dort nicht geplant.

Analyse

Der Radfahrstreifen vor dem Landesmuseum/Staatsarchiv unterschreitet die Mindestmaße der Regelwerke um 46%! Selbst für geübte RadfahrerInnen ist dieser Abschnitt eine Herausforderung. Der geringe Abstand zur Fahrbahn, besonders zum Schwerlastverkehr und kreuzende PKW in die Tiefgaragen-Ein- und -ausfahrten bedeuten Stressfaktoren, die nicht hinnehmbar sind. Ein Befahren der Strecke mit Anhänger oder Lastenrad ist nicht möglich. Es besteht akuter Handlungsbedarf. Ein Verbleib der Radspur auf der Straße ist nur unter bestimmten Umständen zumutbar.

Lösungsansatz

Zwei Optionen:

  • Führung der Strecke über den Karolinenplatz nach Entfernen der Brunnenbecken bis zum westlichen Ende des Landesmuseums.
  • Wegfall einer von drei Kfz-Spuren und Einrichtung einer geschützten Radspur. Durchgängige Markierung der Spur durch rote Farbe. Nur als Kombination mit Cityring als 30er Zone.

2. Abschnitt: Bleichstraße zwischen Mathildenplatz und Kasinostraße:

Bestandsaufnahme

Vorhandene Infrastruktur:
  • Angebotsstreifen Breite 200cm (inkl. Linien 25cm+12cm) + Sicherheitstrennstreifen 50cm + Rinne 30cm = 280cm
  • Rechter Fahrbahnrand: Schrägparker
  • Restliche Fahrbahnbreite: mind. ca. 6,80m; 2-3 Fahrbahnen
Mindestbreiten nach Regelwerk:
  • Angebotsstreifen: 150cm + 75cm Sicherheitstrennstreifen zu Schrägparkständen = 225cm

Südlich des Mathildenplatzes wird der Verkehr im Rahmen von DAVIA anders geordnet. Auch für Radfahrer wird sich einiges ändern. So ist geplant, die Ausstiegsbushaltestellen auf Höhe des Mathildenplatzes zu entfernen, um die Lücke im Radfahrstreifen zu schließen. Für die Haltestellen danach (südlich des Regierungspräsidiums) gibt es eine Anfrage des Magistrats.

 Analyse

Die Breite des Schutzstreifens überschreitet die Empfehlung der Regelwerke, lässt sich auch mit Lastenrädern leicht befahren und erlaubt Überholen unter Radfahrern. Im weiteren Verlauf wird die Radfahrspur hinter Schrägparkplätzen vorbeigeführt. Regelmäßig wird auf diesem Radfahrstreifen gehalten (das ist erlaubt) oder kurzzeitig geparkt (das ist verboten). In beiden Fällen sind Radfahrer gezwungen zu halten oder müssen auf die Schwerlastspur ausweichen. Die Nähe des fließenden Verkehrs, eine blockierte Radfahrspur und die Gefahr von ausparkenden Fahrzeugen erzeugen Stress und wirken sich negativ auf das subjektive Sicherheitsempfinden aus.

 Lösungsansatz

Durch das Vorhandensein der Schrägparkstände kann eine durchgängige Protected Bike Lane[4] nicht eingerichtet werden. Eine Umwandlung in einen Radfahrstreifen und eine durchgängige Einfärbung des Radspurbelags in roter Farbe erhöht jedoch die Wahrnehmung und signalisiert dem Autofahrer im Unterschied zur partiellen roten Markierung kontinuierlich, dass auf dieser Spur Radfahrer Vorrang haben. An manchen Stellen lassen sich punktuell Poller oder bodennahe Schwellen fixieren, so dass eine scheinbare geschützte Furt entsteht. Dadurch wird eine Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls erreicht. Als Poller lassen sich weiche flexible Modelle einsetzen, die beim Anfahren nachgeben.

Das Missbrauchen der Radspur als Ausladefläche, ließe sich durch die Einrichtung von dafür vorgesehene Ladezonen lösen.

3. Abschnitt: Bleichstraße zwischen Kasinostraße und Steubenplatz:

Bestandsaufnahme

Vorhandene Infrastruktur:
  • Radfahrstreifen Breite 200cm (inkl. Linie 25cm) + Rinne
  • Restliche Fahrbahnbreite: ca.5m
  • Linker Fahrbahnrand: Längsparkstände
Mindestbreiten nach Regelwerke:
  • Radfahrstreifen: 185cm
 Analyse

Die Breite des Radfahrstreifens überschreitet die Empfehlung der Regelwerke, lässt sich auch mit Lastenrädern leicht befahren und erlaubt Überholen unter Radfahrern. Regelmäßig wird jedoch auch auf dieser Radfahrspur gehalten oder kurzzeitig geparkt. Beides ist auf Radfahrstreifen nicht erlaubt. RadfahrerInnen sind auch hier gezwungen, auf die Schwerlastspur auszuweichen. Die Enge dieses Streckenabschnitts wirkt sich zudem negativ auf das subjektive Sicherheitsempfinden aus. Beim Einfahren auf den Steubenplatz hört die Radspur plötzlich auf. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Lösungsansatz

Einrichtung einer Protected Bike Lane durch Pflanztröge, Poller oder zumindest bodennahe Schwellen und damit Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls. Zusätzlich durchgängige Markierung der Spur durch rote Farbe zur Vermeidung des Missbrauchs. Lieferzonen auf der linken Fahrbahnseite können für Entspannung sorgen. Die letzte Ampel am Steubenplatz könnte auf die östliche Seite des Steubenplatzes verlegt werden. An der östlichen Kreuzung des Steubenplatzes/Bleichstraße könnte so eine Ampelschaltung die Radfahrer östlich der Kunsthalle in Richtung Rheinstraße leiten.

Fast alle vorgeschlagenen Verbesserungen kosten nicht viel und könnten sofort umgesetzt werden. Als langfristige Lösung kommt nur ein radikaler Rückbau des autobahnähnlichen Cityrings infrage. Hin zu einem städtischen Straßenraum, der Aufenthaltsqualitäten bietet.

Die Rückbesinnung auf das Fahrbahnfahren und die Nutzung von Radfahrstreifen als Allheilmittel muss sofort beendet werden. Mit diesem Denken in den Planungsämtern werden Teile der (potentiellen) RadfahrerInnen systematisch ausgeschlossen.

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[1] Radfahrstreifen: Durchgezogene Linie, nicht Teil der Fahrbahn; Schutzstreifen=Angebotsstreifen: gestrichelte Linie, Teil der Fahrbahn. Mehr dazu: https://www.adfc-bw.de/konstanz/verkehrspolitik/radfahrsteifen-und-schutzstreifen/

[2] https://www.darmstadt.de/404-fehlerseite/ Die Mittelung wurde mittlerweile von der Webpräsenz der Stadt Darmstadt entfernt. In unserem Artikel: Ungleiche gleichberechtigen gehen wir gesondert auf die Aussagen darin ein.

[3] MIV-motorisierter Individualverkehr

[4] Eine Protected Bike Lane ist ein Radfahrstreifen, der durch unterschiedliche trennende Elemente hilft, die gefühlte Sicherheit zu erhöhen. Das Prinzip kommt aus den USA: http://www.peopleforbikes.org/green-lane-project/pages/protected-bike-lanes-101

1 Kommentar

  1. […] Pimp your Radweg N°1 hat sich mit der Ost-West Erschließung durch die Innenstadt über den Cityring beschäftigt. Dabei wurde die, für die Stadt Darmstadt typische Radführung über Rad- und Schutzstreifen untersucht und Verbesserungsmaßnahmen entwickelt. […]

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