2019: DARMSTADTS ERSTES JAHR NACH DEM RADENTSCHEID

EIN RADVERKEHRS-JAHRESRÜCKBLICK

RADENTSCHEID-CHRONIK

Der Radentscheid Darmstadt hat der Wissenschaftsstadt im Mai 2018 rund 11.200 Unterschriften übergeben, die die Forderung nach einem sicheren und angenehmen städtischen Rad- und Fußverkehr bekräftigten. Die geforderten 7 Ziele zur Erinnerung:

7 Ziele des Radentscheids
7 Ziele des Radentscheids

Nach der Einreichung der Unterschriften bewertet die Stadt die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens und kommt mit einem intern verfassten Rechtsgutachten zu dem Ergebnis, der Radentscheid sei zwar formell zulässig, jedoch materiell aufgrund mangelhafter Kostenschätzung unzulässig.

Das Stadtparlament bestätigt den zugehörigen Magistrats-Beschluss Nr. 2018/0179 vom 30.08.2018. Neben der Zulässigkeit (Punkt 1. und 2.) sieht die gleiche Magistratsvorlage jedoch die Auflegung eines Sonderprogramms Radverkehr mit 16 Mio. € für die nächsten vier Jahre vor. Zusätzlich sollen vier zusätzliche Projektstellen entstehen. Ebenso wird der Magistrat (Oberbürgermeister und Verkehrsdezernat) ermächtigt, Verhandlung mit dem Radentscheid zu führen, bei denen die Ziele des Radentscheids, sowie deren zeitliche und finanzielle Umsetzbarkeit definiert werden sollen. Als Mediator wird Burkhard Stork (ADFC Bundesgeschäftsführer) hinzugezogen, wissenschaftlich begleitet wird der Prozess von den Hochschulprofessoren Follmann und Wolfermann der Hochschule Darmstadt.  

Magistratsvorlage zum Radentscheid
Magistratsvorlage zum Radentscheid

WICHTIGE MEILENSTEINE

Mai 2018 – Übergabe Unterschriften Radentscheid Darmstadt

August 2018 – Ablehnung Radentscheid, 4×4 Mio. Programm, Beginn der Verhandlungen

Februar 2019 – Gestaltung von Grundstückzufahrten, Teilaufpflasterungen an Einmündungen

Juni 2019 – Radstrategie

? – Festlegung der Maßnahmen für vier Jahre

WICHTIGE BESCHLÜSSE

Radstrategie

Das wichtigste Ergebnis dieser Verhandlung ist die am 18.06.2019 durch die Stadtverordnetenversammlung bestätigte Radstrategie 2019/0157. Darin finden sich (teilweise in abgeschwächter Form) die meisten Ziele des Radentscheids wieder, das Papier legt jedoch darüber hinaus weitere wegweisende Punkte fest. Hier ein Auszug der wichtigsten Festsetzungen:

  • Es wird ein Radverkehrsanteil im Modal Split[1] von 30% bis 2030 festgelegt
  • Radverkehrsplanungen sind fortan aus Sicht von schwächeren Radfahrenden zu entwickeln
  • Benötigte Flächen für den Radverkehr werden vom Kfz-Verkehr genommen
  • Verkehrssicherheit geht vor Verkehrsfluss
  • Bei künftigen Planungen wird die ERA (Regelwerk für Radinfrastruktur) verpflichtend eingeführt
  • Alle Hauptverkehrsstraßen erhalten (möglichst) eine Radverkehrsanlage
  • Es wird ein Qualitätsradnetz festgelegt. Die Mindestbreite von Radwegen auf diesem Netz beträgt 2,3m
  • An Kreuzungen sollen die Machbarkeit von Schutzkreuzungen nach niederländischem Vorbild vorrangig geprüft werden.
  • Radwege erhalten roten Asphalt
  • In Zusammenarbeit mit dem Radentscheid werden Sofortmaßnahmen umgesetzt (Poller, Bordsteinabsenkungen, Trixiespiegel)
  • Weitere Maßnahmen: Fahrradstraßen, Radparken, Zählstellen, Mängelbehebung (s.u.), Wissenschaftliche Begleitung, Öffentlichkeitsarbeit, Anreizförderung…

Mängelmelder

Der Mängelmelder wird ergänzt durch Radverkehrsrelevante Kategorien. Die Abarbeitung funktioniert in der Regel recht gut.

Aufpflasterungen und Grundstückzufahrten

Im Februar 2019 beschließt die Stavo zudem 2019/0002, dass an Grundstückzufahrten schräge Kantsteine zum Einsatz kommen sollen, die die Sicherheit auf Geh- und Radwegen durch niedrigere Abbiegegeschwindigkeiten von Kfz erhöhen soll. An Einmündungen zu Nebenstraßen sollen Querungen niveaugleich durch sogenannte Teilaufpflasterungen erfolgen. Diese reduzieren das Unfallrisiko um die Hälfte.

Aufpflasterung Grundstückseinfahrt
Verkehrssichernde Maßnahmen – Links: Teilaufpflasterung einer Einmüdung mit angehobenem Kreuzungsbereich – Rechts: Grundstückseinfahrt mit schrägen Kantsteinen

Berichtswesen

Punkt C5 Berichtswesen/Erfolgskontrolle wird bereits seit 2019 umgesetzt. So sind die umgesetzten Maßnahmen in den Quartalsberichten der Stadt einsehbar.

Quartalsbericht

Von den sieben Zielen des Radentscheids sind bis auf Ziel 7 alle grundsätzlich in die Radstrategie eingeflossen. Ziel 7 ist jedoch durch die Stadtverordneten in mit der Vorlage 2019/0002 beschlossen. Die vom Radentscheid geforderten Quantitäten von den Zielen 2-4 (5km Mindestlänge bei Radwegen an Hauptstraßen, 5km an Nebenstraßen und drei Kreuzungen pro Jahr) wurden nicht in die Radstrategie übernommen. Ziel 5 – Mängelmelder ist in abgeschwächter Form eingeflossen. So ist ein Monitoring der Mängelabarbeitung nicht vorgesehen.

2019 UMGESETZTE MASSNAHMEN

Massnahmen Gesamttabelle_Thumbnail

Man hört immer wieder Kritik auch von Radfahrenden, die sagt, es sei bislang noch nicht viel von umgesetzten Maßnahmen zu sehen. Andere, meist Verkehrsteilnehmer, die kein oder nur wenig Rad fahren, fühlen sich als Autofahrer durch Radverkehrsmaßahmen benachteiligt. Schauen wir genau hin. Wir haben uns die Mühe gemacht, die Maßnahmen aus den Quartalsberichten der Stadt Darmstadt zusammenzufassen und zu kategorisieren.

ALLE MASSNAHMEN ALS PDF

Weiterhin werden die großen Maßnahmen einem Qualitätsstandard zugeordnet.

QUALITÄTSSTUFEN

Radentscheidsiegel: Streckenelemente müssen geschützte Radwege aufweisen mit mindestens 2,3m Breite. Kreuzungen müssen als Schutzkreuzungen ausgeführt werden, angehobene Kreuzungsbereiche an Einmündungen, Maßnahmen an Nebenstraßen, die das Radfahren erleichtern.

Radstrategie: restliche Maßnahmen gemäß Radstrategie

ERA: Maßnahmen nach ERA (diese gehen oft über die StVO hinaus)

StVO: Restliche Maßnahmen

Kleinmaßnahmen und andere Maßnahmen wurden nicht bewertet. Wir gehen davon aus, dass alle Kleinmaßnahmen wichtig und gut sind und dem Qualitätsstandard des Radentscheids entsprechen. (bspw. Abstellanlagen, Poller,…)

2019_Maßnahmen alle_Tabelle
2019_Maßnahmen alle_grafisch

Bei der folgenden Auswertung wurden nur die Maßnahmen an Hauptstraßen, Nebenstraßen und Kreuzungen verglichen:

2019_Maßnahmen Qualitätsstufen

Die wichtigsten Analyseergebnisse:

  • An Hauptstraßen wird einmal das Radentscheidsiegel vergeben. Dieses erhält die mittlere Rheinstraße. (s. Titelbild)
  • Sechs Maßnahmen an Nebenstraßen erhalten ebenso dieses Qualitätssiegel. (Hierunter zählen vor allem die Öffnungen von Einbahnstraßen)
  • An Hauptstraßen wurden 300m Radweg in der hohen Qualität hergestellt (zum Vergleich: Radentscheid Ziel 2: 5km Radwege an Hauptstraßen).
  • An Nebenstraßen wurden auf 3,5km Maßnahmen für den Radverkehr umgesetzt. Davon sind 900m Radschnellweg, 1650m Fahrradstr., 900m Freigabe v. Einbahnstr. (zum Vergleich: Radentscheid Ziel 4: 5km Radwege an Nebenstraßen
  • Von Ziel 3 des Radentscheids – Sichere Kreuzungen nach niederländischen Vorbild wurde noch keine Kreuzung umgesetzt. Kleinere Maßnahmen sorgen jedoch für mehr Sicherheit für Radfahrende an Kreuzungen. Hierzu zählen Trixiespiegel und markierungstechnische Lösungen wie aufgeweitete Aufstellflächen, vorgezogene Haltelinien oder Veränderungen der Markierung der Heranfahrt an die Kreuzung. Es wurden jedoch auch Fahrradweichen umgesetzt, mit denen der Radentscheid gar nicht einverstanden ist.
  • Auch von Maßnahmen in Bezug auf Radentscheid Ziel 6 (Bordsteinabsenkungen; teilw. laufen separate Projekte parallel zum Programm Rad) und 7 (Anhebungen von Einmündungsbereichen: Teilaufpflasterungen) ist noch nicht viel zu sehen.
  • Besonders viel wurden im Bereich von Kleinmaßnahmen umgesetzt. (Abstellanlagen, Poller,…) Hier ist insbesondere die gute Zusammenarbeit von Radentscheid (Meldung von Mängeln) und Stadt (Beseitigung der Mängel) hervorzuheben.
2019_Maßnahmen Quantitäten

FAZIT

Der Radentscheid hat bei der Radverkehrspolitik der Stadt für eine besondere Dynamik gesorgt. Die 16 Mio. € Budget, zusätzliche Planerstellen und die Radstrategie haben auch neue Aufgaben gebracht, die koordiniert und kanalisiert werden müssen. Im ersten Jahr nach dem Radentscheid wurden die meisten Kräfte eher in den Aufbau der neuen Strukturen gesteckt. So wurde das Ressort Mobilität in einem neuen Mobilitätsamt gebündelt, in dem auch der Radverkehrsbeautragte mit seinem Team seinen Platz gefunden hat. Für konkrete Maßnahmen war daher noch nicht so viel Zeit, wie man sich das gewünscht hätte. Unter diesen Umständen ist trotzdem schon 2019 einiges geschehen. Insbesondere Sofortmaßnahmen, die den Alltag von Radfahrenden deutlich erleichtern wurden intensiv umgesetzt. An Nebenstraßen wurde sogar fast die vom Radentscheid ursprüngliche geforderten Quantitäten umgesetzt.

Künftig jedoch muss aber vor allem an Hauptstraßen deutlich mehr geschehen. Und hier muss ein Zahn zugelegt werden.

Künftig jedoch muss aber vor allem an Hauptstraßen deutlich mehr geschehen. Und hier muss ein Zahn zugelegt werden. Für 2020 hoffen wir jedoch auf weitere Leuchtturmprojekte analog der mittleren Rheinstraße sowie die Umsetzung von Projekten sicherer Kreuzungen.


[1] Gesamtheit aller Wege, die mit dem Rad zurückgelegt werden.

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