WUNDERLÖSUNG SCHUTZKREUZUNG? – Teil 1

Deutsche Vorurteile gegenüber niederländischen Schutzinselkreuzungen

zu Teil 2 – „Weit abgesetzte Furten erhöhen die Unfallrate.“ – Der Unfallstatistiker

Am 26.09.2019 fand in der Landesvertretung Baden-Württembergs in Berlin die ADFC-Fachtagung „Sichere Kreuzungen für den Radverkehr“ statt. Als Sprecher eingeladen waren Jörg Ortlepp – Unfallforschung der Versicherer (UDV), Johan Diepens – MOBICON, Emil Tin – Stadt Kopenhagen, Richard Butler – Transport for Greater Manchester, Merja Spot – SenUVK Berlin und Timm Schwendy – Darmstadt fährt Rad.

Johan Diepens stellte die Schutzinselkreuzung vor, so wie sie in den Niederlanden häufig gebaut wird, wenn es eine ampelgesteuerte Kreuzung sein muss. Bevorzugt würden nach Diepens kleine Verkehrskreiseln mit geschützter Radverkehrsführung, da diese in den Augen der niederländischen Unfallstatistik weitaus sicherer seien als signalisierte Kreuzungen. Allein diese Feststellung sieht die deutsche Unfallforschung durchaus ambivalent.

Aber auch zu den geschützten Kreuzungen mit abgesetzten Furten musste Diepens sich vielfältigen Fragen des Publikums stellen: Gibt es Zahlen zur Sicherheit des „niederländischen“ Designs? Gab es nicht auch bei uns ähnliche Designs und wurden diese nicht aus guten Gründen zurückgebaut? Stehen Radfahrende auf diesen Kreuzungen nicht im toten Winkel von LKW? Werden Fußgänger durch Schutzkreuzungen nicht benachteiligt oder gefährdet?

Während in den Niederlanden oft ein Verziehen des Radwegs nach außen empfohlen wird, wird in Deutschland gerade die gegenteilige Empfehlung gemacht, den Radweg vor der Kreuzung an die Fahrbahn zu schwenken. [1]

Kommen niederländische und deutsche Forschung tatsächlich auf unterschiedliche Ergebnisse und wenn ja warum?

Warum sehen niederländische und deutsche Kreuzungen so anders aus? 1. links: Weit abgesetzte Radfahrfurten, Empfehlung nach CROW Design Manual for Bicycle Traffic – 2. rechts: An die Fahrbahn heranfgeführte Radverkehrsanlage, Empfehlung ADAC

Darmstadt fährt Rad hat ein Blick geworfen auf die gängigen Argumente gegen die Schutzinselkreuzung. Wir nehmen im Folgenden die Perspektiven folgender Kritiker ein:

Teil 1

  • Die „zügig“ fahrende Radfahrerin
  • Die Fußgängerin
  • Der Fuß e.V.
  • Der Stadtplaner
  • Die Kommune

Teil 2

  • Die Unfallstatistikerin

 „Schutzkreuzungen bremsen mich aus.“

Der „zügig“ fahrende Radfahrer

Manchmal kontaktieren uns Radfahrende mit dem Hinweis, die Schutzkreuzungen würden Radfahrende benachteiligen und das „autogerechte“ (s. auch Kapitel Teil 2 – Der Unfallstatistiker) Verschwenken der Radverkehrsanlage würde sie zu Umwegen und zum Abbremsen zwingen. Sie wären eben gerne „zügig“ unterwegs.

Dieser Standpunkt ist verständlich aus Sicht von deutschen Radfahrenden, die es gewohnt sind, dass der Radverkehr an jeder Ecke ausgebremst wird. Wenn der Radweg zu schmal ist, zugestellt durch Mülltonnen, parkende Autos, haltende Lieferwagen oder Wartende an Bushaltestellen, wenn die Radverkehrsstrecke zusammen mit Fußgängern geführt wird und der Autoverkehr auf den Fahrbahnen deutlich flüssiger vorbeizieht, kommt zurecht der Wunsch nach gleichwertigem Verkehrsfluss auf.

Wer jedoch schon einmal in den Topfahrradstädten der Niederlande Rad gefahren ist, weiß wie sehr der Radverkehr dort insgesamt beschleunigt wird. Ein cleveres Netz aus Radwegen (auch Zweirichtungsradwegen), Fahrradstraßen mit eingebauter Priorität vor dem Kfz-Verkehr an Kreuzungen und Querungen (radfreundliche Ampelschaltungen), Haltestellenhinterfahrungen und konsequente Konfliktvermeidung auf allen Ebenen unterstützen ein schnelles Vorankommen. An Kreuzungen jedoch, wo ein Großteil der Radfahrenden verunglückt, macht es Sinn, dass alle Verkehrsteilnehmer etwas langsamer unterwegs sind.

An den niederländischen Knoten wird aber darauf geachtet, dass die Radien der verschwenkten Radwege groß genug sind, dass sowohl die Sicherheit der Radfahrenden gewährleistet ist (Alleinunfälle), als auch der Effekt des Ausbremsens nicht so stark ist.

Aufpflasterung_Fahrbahnniveau
Verschwenken des Radweges an einer Einmündung
ARAS, Aufgeweitete Aufstellfläche mit Vorgezogener Haltelinie
ARAS – Aufgeweitete Aufstellfläche mit Vorgezogener Haltelinie

Auch das indirekte Linksabbiegen auf Schutzkreuzungen wird oft auch als Einschränkung empfunden. Das zweimalige Warten würde die Fahrtdauer deutlich verlängern. Viele „mutige“ Radfahrende wünschten sich, direkt abzubiegen.

Die meisten Radfahrenden und noch nicht Radfahrenden fühlen sich jedoch auf einer geschützten Führung wohler. Das direkte Linksabbiegen funktioniert nur über die Fahrbahnen oder markierte Anlagen. Das ist vielen (auch potentiell) Radfahrenden zu gefährlich. Da helfen Kleinlösungen wie vorgezogene Haltelinien, mitten auf der Kreuzung markierte Wartebuchten für Radfahrende und Fahrradweichen nicht weiter.

Deutsche Kreuzung
Typisch deutsche Designelemente an Kreuzungen: Freie Rechtsabbiegespur (4) mit typischer Dreiecksinsel, Aufgeweiteter Aufstellstreifen (3) mit vorgezogener Haltelinie (2) und Radfahrstreifen in Mittellage-RiM (1)

Ein sicherheitstechnischer Vorteil des indirekten Linksabbiegens ist, dass es im Grunde gar kein Linksabbiegen gibt. Es wird zweimal geradeaus gefahren. In den Niederlanden wird die Signalisierung häufig so geschaltet, dass Radfahrende eine Grüne Welle haben oder die Reiserichtung auswählen können wie dieses Video zeigt:

Besonders an großen deutschen Kreuzungen ist die Fußgänger-/ Radsignalisierung aber auch heute schon so geschaltet, dass während eines zweiphasigen Abbiegens kaum gewartet werden muss.

Das in der Schutzkreuzung automatisch eingebaute freie Rechtsabbiegen fürs Rad ohne Beachtung von Ampeln kompensiert einen etwaigen Zeitverlust durch das indirekte Linksabbiegen. An fahrbahnorientierten Führungen ist dies nur möglich über eine freie Rechtsabbiegespur im Mischverkehr mit Kfz. 

Kreuzungen - Rechtsabbiegen
Rechtsabbiegen: Links: geschützt und unsignalisert auf einer Schutzkreuzung, Rechts: ungeschützt, hier auf Freiem Rechtsabbiegen, in der Regel jedoch auch für Radfahrende signalisiert.

Die niederländische Erfahrung hat gezeigt, dass eine geschützte Führung über die Kreuzung hinweg, den Radverkehr deutlich leistungsfähiger macht. [2]

Auch deutsche Studien haben festgestellt, dass es an verschwenkten Radwegen zu deutlich weniger Behinderungen kommt als an Kreuzungen im Mischverkehr oder auf Radfahrstreifen.[3] Bei letzteren Führungstypen ist die Leistungsfähigkeit des Radverkehrs besonders zur Rush Hour äußerst abhängig von der Verkehrsdichte der Kfz.

Insbesondere durch erfahrene Radfahrende oder Planer werden die Bedürfnisse nach Sicherheit und Schnelligkeit oft streng auf genau zwei Gruppen von Radfahrenden verteilt. Den – wie Mohnheim formuliert[4] – „eiligen geübten Radfahrern“ und den „ungeübten“ Radfahrenden. Andere nennen die Adjektive „mutig“ und „ängstlich“.

Diese Sichtweise führt an vielen Kreuzungen zu einem Doppelangebot für das Linksabbiegen. Dieser vereinfachende Gedanke macht wie beim „Dualen System“[5] auf der Strecke einen entscheidenden Fehler: Radfahrende lassen sich leider nicht pauschal in nur diese zwei Gruppen einteilen. Diese Annahme geht völlig am Wesen der meisten Menschen vorbei, die bereits Rad fahren oder es gerne machen würden. Das Gros der Radfahrenden wünscht sich ein sicheres aber dennoch möglichst ungehindertes Fahren. Die Wahl zu haben zwischen dem schnellen aber unsicheren Linksabbiegen, Schwerverkehr und Abgasen und zwischen einem schlecht durchdachten zweiphasigen Linksabbiegen und fehlendem freien Rechtsabbiegen ist eine Wahl zwischen Sodom und Gomorra und keine clevere Strategie zur Radverkehrsförderung. 

Eine gute Strategie zur Verkehrswende schafft EINE DELUXE RADINFRASTRUKTUR FÜR ALLE, auf der man (wie im Auto) streßarm nebeneinander fahren und auf der man andere überholen kann.

Lehmann und Birkholz schließen dieses Thema auf urbanophil treffend ab:

„Wenn einige wenige auch bei guter Radinfrastruktur künftig [Rad] mit den Autos [auf der Fahrbahn] fahren, wird die Welt nicht untergehen“[6]

Lehmann und Birkholz

„Fußgänger werden zu Umwegen gezwungen.“

Der Fußgänger

Weil es jahrzehntelang niemand wagte, den Platz für das Auto anzutasten, wurden Flächen für den Radverkehr dem Gehweg abgezwackt, anstatt Fahrspuren der Kfz umzuwidmen. Daraus entwickelte sich eine mehr als verständliche Sensibilität von Fußgängerverbänden in Bezug auf eine Neuverteilung von Flächen des öffentlichen Straßenraums.

Schutzinselkreuzung
Schutzinselkreuzung Schema

Betrachtet man die stark vereinfachten Schutzkreuzungsschemata, kann man zu dem Ergebnis kommen, dass durch ein „Dazwischenpressen“ der nach außen geleiteten Radfurten auch die Fußgängerfurt nach außen wandert. Fußgänger machen sich Sorgen, dass sie durch die Einrichtung eines Schutzinseldesigns größere Umwege laufen müssen.

Das diese Sorge im Falle von Schutzkreuzungen weitgehend unbegründet ist, hat Darmstadt fährt Rad in der Reihe KREUZUNGSDESIGN DELUXE demonstriert (Teil 4, Teil 5 und Teil 6). Bei den Umplanungen zur Schutzinselkreuzung zeigte sich, dass bei den allermeisten Knotenpunktarmen, die Fußgängerfurten nach der Umwandlung in die Kreuzungsmitte gerückt sind. Damit ergeben sich für den Fußverkehr eher kürzere Wege nicht längere.

Umplanung Kreuzung zur Schutzinselkreuzung. Die Fußgängerfuhrten rücken ins Kreuzungzentrum, in den Seitenräumen entsteht mehr Fläche für Fußgänger und eine bessere Aufenthaltsqualität

Angewendet auf den Status Quo der städtischen Kreuzungen macht das neue Design die Kreuzung kompakter, übersichtlicher und stadtverträglicher. Kurvenradien werden kleiner, Freie Rechtsabbiegespuren entfallen und auch im Seitenraum entsteht deutlich mehr Fläche für Fußgänger. Bei einer Umplanung ist zu prüfen, ob die Fahrbahnbreiten und auch deren Anzahl nicht zusätzlich reduziert werden können.

In den Niederlanden ist bei den Schutzkreuzungen die Möglichkeit eines freien Rechtsabbiegens automatisch mit eingebaut. Eine Abstimmung mit den Fußgängern funktioniert in der Regel in Abhängigkeit von der Rad- und Fußverkehrsstärke entweder mit einem Zebrastreifen oder auch ganz ohne Vorrang-Einrichtung. In Deutschland wird hier von Seiten von zu Fuß gehenden oft Bedenken eingeräumt. Die niederländische Praxis sieht einen gegenseitigen Respekt an den meisten dieser Stellen als gegeben. Die Kommunikation zwischen Radfahrer- und Fußgänger*innen funktioniert aufgrund einer optimalen Rundumsicht erstaunlich gut. Eine durchgehende Roteinfärbung hilft in den Niederlanden vor allem auch den Fußgängern, sich zwischen Gehweg und Fahrbahn zu orientieren. Wichtig ist, hier ausreichend tiefe Aufstellflächen für Fußgänger anzubieten. Auch für seh- und gehbehinderte Menschen ist die Detailplanung solcher Kreuzungen sehr wichtig, unterscheidet sich aber nicht von den Notwendigkeiten an herkömmlichen Kreuzungen.

In diesem Zusammenhang sei ein etwas anderes Design zur Diskussion freigegeben, das auf der ADFC Fachtagung durch Richard Butler vorgestellt wurde:

CYCLOPS Kreuzungs-Design
Ein ganz neuer Kreuzungstyp mit invertierter Führung, sogenannte CYCLOPS. Quelle: Richard Butler -Transport for Greater Manchester

Bei diesem, durch das englische Verkehrsrecht inspirierte Design, wird der Fußverkehr auf der Innenseite der Kreuzung über eine Dreiecksinsel geführt, während die Radfurten auf der Außenseite verlaufen. CYCLOPS nennt sich dieser Typ Kreuzung. Die Kreuzung wird momentan hier umgesetzt: https://goo.gl/maps/s8BSVCdanHm21eWe9 (53°28’03.8″N 2°15’27.5″W) Wir sind gespannt, wie sie angenommen wird.


„Das Schutzinseldesign ist ein Design von Bloggern und Laien.“

Der Fuß e.V.

Arndt Schwab vom Fuß e.V. hat sich kürzlich in der Vereinszeitschrift mobilogisch! Heft 2-2019[7] gegenüber den in den Niederlanden seit Jahrzehnten gebauten Schutzinselkreuzungen skeptisch geäußert. Nicht zuletzt weil mobilogisch! unsere Grafiken kommentiert hat, fühlen wir uns hier berufen, auf einige der Argumente einzugehen.

Schwab fasst viele Vorteile des Designs zusammen, argumentiert aber vehement gegen die Schutzkreuzung. Auf diese Kritik gehen wir auch unter den anderen Überschriften ein. Ein Schwerpunkt der Argumentation liegt in dem Artikel auf der Verkehrssicherheit. Hier werden vor allem die Forschungsberichte Schnüll 1992 und Kohlrep-Rometsch 2013 zitiert. Warum man die, in unseren Augen sehr einseitige, Auslegung der Studien nicht so stehenlassen kann, erklären wir unter der Überschrift Der Unfallstatistiker im Teil 2 dieses Beitrags.

Schwab widmet immerhin einen Absatz der „subjektiven Sicherheit“. Er schreibt: „Bekanntlich fühlt sich ein Großteil der praktizierenden und vor allem der potentiellen Radfahrer/innen am sichersten auf Wegen mit einer baulichen Abgrenzung zum Kfz-Verkehr“,

„Bekanntlich fühlt sich ein Großteil der praktizierenden und vor allem der potentiellen Radfahrer/innen am sichersten auf Wegen mit einer baulichen Abgrenzung zum Kfz-Verkehr“

Arndt Schwab, mobilogisch!

schwenkt aber im Folgenden wieder zurück auf pauschale Aussagen aus der Unfallforschung zum Sicherheitsranking der Radverkehrsanlagen ohne diese Erkenntnisse zur gefühlten Sicherheit ernst zu nehmen und in die Überlegungen zur Radverkehrsführung einzubeziehen.

Ebenso orthodox verfährt bislang die Unfallforschung. Das Ergebnis einer Telefonbefragung (inkl. Nichtradfahrende) ergab eine Priorisierung des baulich abgesetzten Radwegs von 70% gegenüber anderen Führungsformen (Radfahrstreifen 29% und Fahrbahn 1%).[8] Diese Erkenntnis spiegelt sich aber auch nicht bei Kolrep-Rometsch 2013 in den Empfehlungen zur Planung von Radverkehrsanlagen wieder. Lediglich zum Verhalten von Radfahrenden wird empfohlen, die Fahrbahn und nicht den Radweg zu nutzen, wenn es einmal keine ordentliche Radverkehrsanlage gibt. Das ignoriert Ängste und Bedürfnisse von Menschen auf Fahrrädern. Auf diese Weise denkt kein Designer und kein Unternehmer, der möchte, dass Menschen Produkte kaufen und benutzen. So kann man auch Radverkehr nicht denken. Eine Infrastruktur, die niemand gerne benutzt, schreckt potentielle Umsteiger vom Radfahren ab. So erstickt man die Verkehrswende schon in den Ansätzen.

Bevor es zum nächsten Kritiker geht, sollte man sich diesen einen Satz aus dem mobilogisch! Artikel noch auf der Zunge zergehen lassen:

„Interessanterweise wird dieser Lösungsansatz hierzulande v.a. von verkehrsplanerischen Laiinnen und Laien in Initiativen, Blogs, Leserbriefen etc. eingefordert, während die einschlägig ausgebildeten Fachleute ganz überwiegend zurückhaltend bis ablehnend sind.“

Arndt Schwab, mobilogisch!

Werden hier tatsächlich indirekt alle niederländischen Fachplaner auf eine Stufe mit deutschen Laien wie Bloggern und Leserbriefeschreibern gestellt? Wird tatsächlich ignoriert, dass es sich bei dem Design nicht um eine Erfindung von Bloggern handelt, sondern eine jahrzehntelange nationale Praxis niederländischer Straßenplaner und diese mittlerweile auch in anderen Ländern getestet und für gut befunden wurde (USA[9], NZ, …)? Wird hier übersehen, dass die erwähnten Blogger und Initiativen nichts anderes machen, als Best Practice Beispiele vorzustellen? Man will es nicht wirklich glauben.

Fassungslos lassen wir darauf den dänischen Radverkehrsexperten Mikael Colville-Andersen antworten:

„I have noticed that large, proud countries suffer from a „not invented here“-mentality. Adopting ideas from small countries like Denmark or the Netherlands? Nah. We can do it ourselves.“

Mikael Colville-Andersen

 „Schutzkreuzungen sind nicht überall umsetzbar und benötigen einen höheren Flächenbedarf.“

Die Stadtplanerin

Die Skepsis gegenüber der technischen Umsetzung von Schutzkreuzungen ist groß. Oft wird mit den engen Platzverhältnissen deutscher Städte argumentiert.

Diese Diskussion wurde überraschenderweise nicht in den Nachkriegsjahren geführt, als geduldet wurde, dass zwei- bis vierstreifige Straßen unsere Städte zerschneiden ohne Rücksicht auf Flächen für Fußgänger- und Radfahrer*innen.

Auch gegen die Überbreite der meisten Fahrstreifen wird nicht auf gleiche Weise argumentiert.

In Deutschland gibt es an Kreuzungen viele Flächen, die durch unterschiedliche Transportmittel gleichzeitig verwendet werden. So sind Radfahrstreifen, Aufstellflächen, Radfahrstreifen in Mittellage, die ja eigentlich hauptsächlich eine Radverkehrsanlage sind, durch den Kraftverkehr überfahrbar. In unseren Untersuchungen an Fallbeispielen von niederländischen und deutschen Kreuzungen haben wir gezeigt, dass diese Nutzungsüberlagerung auf Flächen nicht zwangsläufig zu einer kleineren Gesamtfläche des Kreuzungsbereichs führt.

Die überdurchschnittlich hohe Anzahl von Spuren an Kreuzungen (Abbiegespuren und Geradeausspuren), überdimensionierten Fahrbahnbreiten und die in Deutschland oft verwendeten Freilaufenden Rechtsabbiegespuren nehmen den meisten Platz an Kreuzungen ein und dienen einzig der Leistungsfähigkeit des Autoverkehrs.

Ein Freimachen der Flächen des ruhenden Verkehrs im Kreuzungsbereich, ist eine weitere Möglichkeit, um Platz für eine gute Radverkehrsführung zu schaffen. Parkende Autos haben auch aus Sicht der Verkehrssicherheit an Hauptstraßen per se nichts zu suchen. [10] Diese sind hauptverantwortlich für Sichteinschränkungen auf Radfahrende, deren Wichtigkeit seit Jahren durch die Unfallforschung bekräftig wird.

Ortlepp Parken
Jörg Ortlepp, UDV präsentierte auf dem Fachsymposium des ADFC 09-2019 diese Skizze zur Veranschaulichung der sichteinschränkenden Wirkung von ruhendem Verkehr. Danach stellt ein Großteil der parkenden Autos ein ernsthaftes Sicherheitsproblem dar. Grundlage: RASt

Sogenannte Radfahrstreifen in Mittellage, ausgeführt als „Fahrradweichen“ sind aufgrund der zweigleisigen Führung ebenso keine sonderlich flächensparende Lösung. Weitaus flächensparender ist eine einzige geschützte Radwegeführung mit insgesamt großzügiger Breite. (Siehe Analyse aus Kreuzungsdesign Teil 4 – Fallbeispiele).

Der Umbau von Kreuzungen zu Schutzkreuzungen ist in den allermeisten Fällen keine Frage von fehlendem Platz, sondern von Priorisierung des Radverkehrs.


„Schutzinsel-Kreuzungen sind teuer.“

Die Kommune

Bei der Rechtfertigung der Anlage von ungeschützter Infrastruktur für Radfahrende (Radfahrstreifen und Angebotsstreifen) beziehen sich die Kommunen oft auf die Unfallforschung, indem sie gängige Studien einseitig zitieren und pauschal wiedergeben,[11] und so fatalerweise den Irrglauben an die sichere Fahrbahnführung weiterverbreiten.[12] Doch das nicht ausgesprochene Hauptargument der Kommunen gegen baulich getrennte Radwege und auch gegen Schutzkreuzungen, ist dass sie den Haushalt belasten. 

Klar, der radikale Umbau von Kreuzungen ist nicht billig. Vor allem wenn die Kommunen mit der Unsicherheit alleine gelassen werden, dass Schutzkreuzungen evtl. doch nicht so gut sind, wie die Niederländer uns das weis machen wollen, dann überlegt sich fast jeder Stadtplaner, ob ein solches „Pilotprojekt“ angepackt werden soll oder ob es evtl. reicht, mit kleineren Maßnahmen zu zeigen, dass man auch an Kreuzungen etwas für Radfahrende tut.

So werden als Minimallösung Trixispiegel aufgehängt, oder vorgezogene Haltelinien mit oder ohne Aufstellbereichen markiert. Das alles sind Maßnahmen, die die Unfallforschung zwar situativ eingeschränkt, aber als generell positiv bewertet hat. So helfen sie zwar bei bestimmten Konstellationen zweier potentiell Unfallbeteiligten, bei freier Fahrt aber weniger. Trotzdem sollten diese Elemente an jeder Kreuzung als Mindestausstattung vorhanden sein. Doch nicht einmal zu diesen Investitionen sind die Kommunen bereit.

Kosten Nutzen Radfahren
Kosten Nutzen Radfahren – Kfz – ÖPNV Quelle: Dutch Cycling Embassy

Die Spiegel und Markierungen helfen weniger, die subjektive Sicherheit bei Radfahrenden zu erhöhen. Und gerade an Kreuzungen ist es so wichtig, dass man den Überblick behält und die Strecken die einen erhöhten Stress provozieren so kurz wie möglich hält. 

Umbauarbeiten kosten Geld. Das ist keine Frage. Etliche Studien [13] aber haben sich schon mit dem Thema Kosten-Nutzen von Verkehrsmitteln beschäftigt. Das Autofahren kostet der Volkswirtschaft demnach ca. dreimal mehr als die Förderung des ÖPNV [14] oder des Radverkehrs. Andere Rechnungen gehen von 6 fachen Kosten für den Autoverkehr aus [15] im Vergleich zum Radverkehr. Das zahlen alle. Ob sie Auto fahren oder nicht. Die Flächen, die eine solche Veränderung einspart (Z.B. Rückbau von Freien Rechtsabbiegespuren) und die Kosten, die man spart, wenn mehr Stadtbewohner Rad fahren, haben sich in den Top Fahrradländern der Welt ausgezahlt. [16] Bei der Förderung des Radverkehrs darf es also keine Ausreden mehr geben.

Wieviel der Umbau von Kreuzungen in Schutzkreuzungen tatsächlich kostet ist abhängig von unterschiedlichen Parametern. Eine Schutzkreuzung ohne Ampelanlage, ohne die Notwendigkeit von Entwässerungsarbeiten und hergestellt durch einfache Leitelemente und Markierungsarbeiten konnte in den USA schon für 100.000 USD umgebaut werden, eine Kreuzung mit Verkehrsinseln aus Beton gab es von 180.000 bis 350.000 USD. Deutsche Zahlen liegen nicht vor.

Teil 2 – „Weit abgesetzte Furten erhöhen die Unfallrate.“ -Der Unfallstatistiker


[1] ADAC-Test Wie sicher sind Kreuzungen für Radfahrer? 25-09-2019 https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/tests/fahrrad/radfahrersicherheit-kreuzungen/

[2] Nielsson 2001

[3] Schnüll et al., Bundesanstalt für Straßenwesen, BASt – Sicherung von Radfahrern an städtischen Knotenpunkten, 1992, S. 238

[4] Mohnheim – Zur aktuellen Debatte in der Fahrradszene und speziell beim ADFC über die Entwicklung von Radverkehrsanlagen – Artikel auf urbanophil, 02-2017  http://www.urbanophil.net/urbane-mobilitat/zur-aktuellen-debatte-in-der-fahrradszene-und-speziell-beim-adfc-ueber-die-entwicklung-von-radverkehrsanlagen/

[5] Duales System: Aufhebung der Benutzungspflicht eines Bestandsradwegs. Der zu schmale und (oft defekte) Bestandsradweg kann als „anderer“ Radweg weiterhin genutzt werden. Fahrradpiktogramme auf der Fahrbahn verdeutlichen für die Autofahrenden, dass mit Radfahrenden zu rechnen ist.

[6] Lehman, Birkholz – ADFC beschließt geschützte Radspuren (Protected bike lanes) – Das Ende vom Radfahren unter Autos (vehicular cycling) – Artikel auf urbanophil, 11-2016   http://www.urbanophil.net/urbane-mobilitat/adfc-beschliesst-geschuetzte-radspuren-protected-bike-lanes-das-ende-vom-radfahren-unter-autos-vehicular-cycling/

[7] Arndt Schwab – Radwege und niederländische Kreuzungen: Keine Wunderlösung, in: mobilogisch! Heft 2-2019 http://www.mobilogisch.de/41-ml/artikel/265-niederlaendische-kreuzungen-rechtsabbieger.html

[8] Kolrep-Rometsch, UDV Abbiegeunfälle Pkw/Lkw und Fahrrad, 2013, S.87 Tabelle 18

[9] Don´t give up at intersections. https://nacto.org/wp-content/uploads/2019/05/NACTO_Dont-Give-Up-at-the-Intersection.pdf

[10] Vortrag von Jörg Ortlepp – UDV auf der ADFC Fachtagung „Sichere Kreuzungen“ in Berlin 09-2019 https://www.adfc.de/fileadmin/user_upload/Expertenbereich/Politik_und_Verwaltung/Fachtagungen/Download/ADFC-Fachtagung_Sichere_Kreuzungen_Joerg_Ortlepp.pdf

[11] Infoblatt zur Bewerbung von Radfahrstreifen und Angebotsstreifen (Schutzstreifen): https://www.hamburg.de/contentblob/2746298/577ea4f93e446fcee8264620ba301cd9/data/flyer-radfahrstreifen-schutzstreifen.pdf;jsessionid=CC04A1693623EBF0410E32F6EB385D62.liveWorker2

[12] Der Radfahrbeauftragte der Stadt Köln Peter Lemke sagte in einer Sendung des NDR am 22.05.2018. „Wir sagen, den Radfahrer auf die Fahrbahn bringen, um eben den Radfahrer in das Sichtfeld des Autofahrers zu bringen. Damit da der Blickkontakt ist. Die meisten Unfälle passieren beim Abbiegen oder beim Einfahren von Ein- und Ausfahrten. Und da ist es dann immer besser, wenn der Radfahrer auf der Fahrbahn fährt.“

[13] Martin Randelhoff, Zukunft Mobilität, Erste Gedanken zu BECKER et al. (2012): Externe Autokosten in der EU-27 https://www.zukunft-mobilitaet.net/13824/analyse/autokosten-becker-tu-dresden-europa/

[14] Prof. Dr.-Ing. Carsten Sommer, Der Autoverkehr kostet die Kommunen das Dreifache des ÖPNV und der Radverkehr erhält die geringsten Zuschüsse https://www.unikims.de/de/newsarchiv/der-radverkehr-erhaelt-die-geringsten-zuschuesse-und-der-autoverkehr-kostet-die-kommunen-das-dreifache-des-oepnv

[15] Stefan Gössling, Transport transitions in Copenhagen: Comparing the cost of cars and bicycles https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0921800915000907

[16] Dutch Cycling Embassy, Dutch Cycling Vision https://www.dutchcycling.nl/images/downloads/Dutch_Cycling_Vision_GER.pdf

7 Kommentare

  1. Reale Kreuzungsprobleme sehen eher so aus: https://dasfahrradblog.blogspot.com/2019/12/wie-darf-ich-denn-hier-mit-dem-rad.html, oder so: https://www.tagesspiegel.de/berlin/weihnachten-ohne-constantin-eine-mutter-trauert-um-ihren-sohn-der-vom-lkw-ueberrollt-wurde/25361196.html, aber wir haben ja Religionsfreiheit.

    Eigentlich aber ist die Schutzkreuzungspropaganda schon auf der Metaebene falsch, denn statt sich in Lösungen zu verlieben, müsste man Anforderungen diskutieren. Anforderungen sind priorisierte Ziele, die keine Lösung vorgeben, sondern das Abwägen verschiedener Lösungen ermöglichen. Abstrakt müssten wir also über objektive und subjektive Sicherheit, Fahrkomfort, Leistungsfähigkeit und so weiter reden und dann schauen, welche Lösungen in welcher Situation die Anforderungen am besten erfüllen. Jede abstrakte Anforderung läst sich konkretisieren, wie es gelegentlich oben anklingt; zur Sicherheit gehören zum Beispiel Sichtbeziehungen, verständliche Verkehrsführungen und Fehlertoleranz.

    Solche Anforderungen sind Verhandlungsgegenstand, ihr Erfüllungsgrad nur noch eine Frage sachlicher Analyse. Der Entwurfsraum bleibt offen. Wo es Ampeln als stationäre Abbiegeassistenten gibt, kann man zum Beispiel mit denen anfangen und wo unnötige Randwege Probleme verursachen, könnte man an der Ursache dieser Probleme ansetzen.

  2. […] Wunderlösung Schutzkreuzung? […]

  3. Das Augenmerk scheint auf dem Bequemlichkeitsanspruch der Radfahrer und der „subjektiven“ Sicherheit (siehe auch Kommentar von FUSS eV.) zu liegen. Die subjektive – also „gefühlte“ Sicherheit ist aber nicht mit der realen „objektiven“ Sicherheit gleich. Die lange Zeit als Musterlösung avisierte, jetzt verteufelte, Fahrradweiche ist ein gutes Beispiel.
    objektiv: Alle Verkehrsteilnehmer sehen sich – es passieren so gut wie keine Unfälle.
    subjektiv: Ich stehe ggf. Zwischen zwei riesigen LKW und fühle mich unsicher (was ich aber nicht bin).

    Das Fahrverhalten der niederländischen und auch dänischen Radfahrer ist, im Gegensatz zu einigen deutschen, von Rücksichtnahme, Regeltreue und auch Eigenschutz geprägt. Das liegt auch daran, dass auch in Großstädten die meisten Verkehrsteilnehmer mal das eine, mal das andere Verkehrsmittel nutzen – es ist also kein stilisierter Kulturkampf, sondern einfach nur sinnvoller Verkehr.

    1. @darmstadtfaehrtrad sagt: Antworten

      Halo Ulla, danke für deinen Kommentar. Würde dennoch widersprechen. Radfahrstreifen in Mittellage sind keineswegs ein „objektiv“ sicheres Infrastrukturelement. Das hat folgende Studie gezeigt: „Es konnte gezeigt werden, dass diese Führungsform im Knotenpunktbereich nicht generell positiv auf die Sicherheit wirkt. Vor allem die in den Verflechtungsbereich verlagerten Unfälle stellen ein Sicherheitsrisiko dar, weil diese Unfälle deutlich häufiger in schweren Verletzungen resultieren als jene im unmittelbaren Knotenpunktbereich.“ (https://www.strassenplanung.tu-berlin.de/fileadmin/fg96/forschung_projekte/RiM/Schlussbericht_RiM.pdf) Auf Radfahrstreifen in Mittellage sind Radfahrerinnen allein vom Autofahrern abhängig. Sie haben keine chance auf ein Ausweichen, falls sie „übersehen“ werden. Nicht zu vergessen sind auch die Auswirkungen von einer nicht berücksichtigten subjektiven Sicherheit auf die objektive Sicherheit selbst. Die Überlagerung von Nutzungen führt zu mehr Streß. Mehr Streß kann uzu mehr Unsicherheit und damit zu einem erhöhten Unfallrisiko führen.

  4. THomas Eichhorn sagt: Antworten

    Wenn ich das obige Bild „CYCLOPS“ sehe, wird mir als Radfahrer, seltener Autofahrer und Fußgänger schlecht!!! Unübersichtlich, kurvenreich, chaotisch. Ich war in Holland und habe das Chaos mit Radfahrern, die in ihren Schutzstreifen auf alles mögliche konzentriert sind, nicht aber auf den Verkehr, gesehen. Ich war in Graz und habe ohne lange „sammeln“ zu müssen, mehrere Beinahekollisionen auf 2-Richtungsradwegen erleben müssen, weil die Leute doch kreuz und quer fahren. Diese Bauten sind in Meinen Augen Unsinn und verschieben nur die tatsächlichen Probleme.

    Sie können planen und bauen, soviel sie wollen – je sicherer sich der Mensch fühlt, desto weniger passt er auf. Macht Straßen einfach, Radfahrer auf die Straße und Autofahrer, die das respektieren und mit Abstand überholen. Lasst PLatz für Bäume an den Straßen.

    Lasst uns die Rechtsabiegerspuren zurückbauen, ja. Und das Regeltempo in Städten auf 30 reduzieren und lasst uns auch Ampeln zurückbauen und durch Kreisverkehre ersetzen. Und dann lasst den Menschen etwas Zeit, bevor über das Ziel hinausgeschossen wird.

  5. Schwab hat ja recht. Die Laien sehen irgendwo ein Bildchen als Schnipsel und lassen sich in ihrer Bubble feiern, aber verstehen nichts von Planung. Das Phänomen der Überheblichkeit erinnert stark an die Querdenker und daran ändert auch ein Drehbuchautor, der für die Aktivisten eine Bestätigung fürs Weltbild in Form einer Behauptung in den Raum warf, nichts daran. Zu dem bunten Sammelsurium an willkürlich herausgepickten Statistiken muss man daher nicht viel sagen. Da sieht ja jeder Erstsemester, dass es ohne Methodik, Definitionen und Vergleichbarkeit en wissenschaftlich nichtssagend ist und nur das ideologisch gewünschte Ergebnis liefern soll.

  6. […] Darmstadt fährt Rad entgegnet diesem Nachteil für den Radverkehr folgendermaßen: […]

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