Verkehrsversuch mittlere Rheinstraße – Modifizierung, OFFENER BRIEF

Der Verkehrsversuch in der Rheinstraße wurde am 06.04. verändert. Es gibt nun eine durchgängige Markierung eines Angebotsstreifens auf der Straße. Ob es jedoch tatsächlich einen Mehrwert und mehr Sicherheit für Radfahrende und Fußgänger gibt, hinterfragt Darmstadt fährt Rad in diesem offenen Brief:

Verkehrsversuch mittlere Rheinstraße – Teil 1

Verkehrsversuch mittlere Rheinstraße – Teil 3

OFFENER BRIEF

„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Partsch,
sehr geehrte Frau Dr. Boczek,

Das Darmstädter Echo titelt am 05.04.2018: „Seit Beginn eines Verkehrsversuchs müssen Radfahrer in der Rheinstraße die Fahrbahn benutzen.“

Für Radfahrende wurde nun nach der Modifizierung ein duales System eingeführt.

Das ist seit dem 06.04.2018 anders. Für Radfahrende wurde nun nach der Modifizierung ein duales System eingeführt. Radfahrende, die sich trauen, können auf einem Schutzstreifen (1,3m) in einer Zone zwischen den parkenden Autos (und evtl. aufgehenden Türen) und dem fließenden Verkehr (<50km/h) fahren. Die gleiche Situation wurde bereits in der Bismarckstraße gebaut. Ein legales Überholen von Radfahren bei Einhaltung der Sicherheitsabstände ist nicht möglich. Trotzdem überholen Autofahrer an dieser Stelle regelmäßig. Der nun markierte Sicherheitsabstand wird von Kfz als Parkstandmarkierung missinterpretiert. Von beiden Seiten droht den Radfahrenden nun Gefahr und schränkt ihren Verkehrsraum ein. Immerhin gibt es nun eine durchgängige Markierung.

Radfahrende, die aufgrund der zuvor beschriebenen Gefahren lieber im Seitenraum fahren, können das nach der Modifizierung nun wieder legal auf dem Gehweg tun. Allerdings nur in Schrittgeschwindigkeit, da sie nun auf dem Gehweg fahren müssen. Diese Situation gibt es genauso in der Dieburger Straße bereits.

Es stellt sich somit die Frage, welche neuen Erkenntnisse für den Radverkehr durch den Verkehrsversuch gewonnen werden sollten.

Die Absicht eines Verkehrsversuchs sollte sein, etwas noch nie Umgesetztes auszutesten, mit dem Ziel eines Mehrwerts für alle Verkehrsteilnehmer bei gleichzeitig geringstmöglicher Unzufriedenheit. Für den Radverkehr testet der Verkehrsversuch in der Rheinstraße dagegen keine neuen Situationen.

Ist diese Strategie der maximalen Mischung der Verkehrsmittelarten tatsächlich auch die Lösung, die am meisten Platz spart?

Noch wichtiger jedoch wird die Frage, ob die neue Situation den Radfahrenden gerecht wird? In Ihrer Pressemitteilung vom 06.04.2018 heben Sie hervor, dass es nun ein Angebot für „stärkere und schwächere Radfahrer“ gebe. Wo fährt nun aber der Großteil der Radfahrenden, die nicht verrückt genug sind, auf dem neu markierten Angebotstreifen zu fahren, dennoch nicht gewillt sind, in gemächlichem Tempo den Slalomparkour mit nun zusätzlichen Fußgängern im Seitenraum zu benutzen? Stellt diese Änderung nun wirklich einen Mehrwert für den Radverkehr dar? Ist diese Strategie der maximalen Mischung der Verkehrsmittelarten tatsächlich auch die Lösung, die am meisten Platz spart? So messen die Verkehrsräume für den Radverkehr des neu angelegten Schutzstreifens plus Sicherheitsstreifen, 1,93m plus 1m Verkehrsraum (nach ERA)  für einen Radfahrenden auf dem Gehweg in der Summe knapp 3m. (bei zwei nebeneinanderfahrenden Rädern gar 4m) Eine einspurige Lösung wie sie Darmstadt fährt Rad präsentierte (s. u.) benötigt höchstens 2,3m Breite. (http://www.darmstadtfaehrtrad.org/?p=1482) Bei gleichzeitig mehr Sicherheit und Eindeutigkeit für alle Verkehrsteilnehmer.

Für den Fußverkehr hat sich die Situation also verschlechtert.

Wie sieht die neue Lage für Fußgänger aus? Vor dem Verkehrsversuch bot der Seitenraum aufgrund geringer Auffälligkeit der Flächen für Fuß- und Radverkehr ein hohes Konfliktpotential. Der ersten Einrichtung des Verkehrsversuchs kann man die Absicht einer Verbesserung für den Fußverkehr unterstellen. In der Praxis sah das leider anders aus, da viele Radfahrende den Mischverkehr aus guten Gründen gemieden haben und weiterhin den Gehweg nutzten. Nach der Änderung des Verkehrsversuchs fahren immer noch Radfahrer im Seitenraum, wen auch auf Flächen der Fußgänger und in der Theorie in Schrittgeschwindigkeit. In der Praxis fahren Radfahrende aber nicht in Schrittgeschwindigkeit, aufgrund der Abwesenheit einer vernünftigen Alternative. Im Unterschied zu der Situation vor dem Versuch, sind die Verkehrsflächen für Rad und Fuß im Seitenraum nun aber auch offiziell nicht mehr durch eine Linie getrennt (wenn die bestehende auch nicht ausgekreuzt ist). Radfahrer dürfen überall fahren. Für den Fußverkehr hat sich die Situation also verschlechtert. Die Chance, den Seitenraum aufzuwerten, auch für den Einzelhandel und die Gastronomie nutzbare Flächen zu schaffen, wurde verspielt.

Der ganze Ablauf des Verkehrsversuchs macht den Eindruck, es gehe allein um das Testen der Umleitung des Kfz-Verkehrs über Neckar- und Hindenburgstraße. Dazu hätte gar auch eine Verkehrszählung genügt. Die Stadt Darmstadt scheut sich dennoch nicht, hervorzuheben, dass die Situation für Radfahrende verbessert wurde (Pressemitteilungen v. 22.03.2018 und v. 06.04.2018).

Möglicherweise werden hier die Vorteile für Rad und Fuß übersehen. Falls das so ist, würde ich mich freuen, wenn Sie hier für Aufklärung sorgen.“


Nachtrag:

Ein Mehrwert für alle Verkehrsteilnehmer könnte so geschaffen werden:

Darmstadt fährt Rad hat schon einmal in einem Beitrag vom 11.05.2017 über die Neugestaltung der Rheinstr. nachgedacht. Daraus stammt diese Darstellung:


Verkehrsversuch mittlere Rheinstraße – Teil 1

4 Kommentare

  1. „Radfahrende, die sich trauen, können auf einem Schutzstreifen (1,3m) in einer Zone zwischen den parkenden Autos (und evtl. aufgehenden Türen) und dem fließenden Verkehr (<50km/h) fahren."
    Mich interessierte die neue, variierte Situation, deswegen bin ich neulich dort entlang gefahren. An der Kreuzung Rhein-/Neckarstraße standen, mich eingeschlossen, sechs Radfahrende an der Ampel. Von diesen sechs haben sich sechs "getraut" und sind auf dem Schutzstreifen die Rheinstraße entlang gefahren.
    Vielleicht wäre das eine Erkenntnis, die man aus dem Versuch gewinnen kann: Gibt es einen bevorzugten Weg? Deine und meine Eindrücke sind nur Momentaufnahmen, deswegen halte ich hier eine Verkehrszählung für sinnvoll. Interessieren würde mich auch, ob es den typischen "mutigen" Radler überhaupt gibt. Und wo (und vor allem wie oft) die vielzitierte Mutter mit Kind denn entlang fährt.

    1. @darmstadtfaehrrad sagt: Antworten

      Hallo TOK. Das wäre eine spannende Zählung. Diese wäre allerdings nicht besonders aussagekräftig, da sie sich nur auf Radfahrende konzentriert, die (vor allem diese Strecke) mit dem Rad fahren. Was ist mit den Menschen, die (diese Strecke) gar nicht fahren? Diese werden durch die Zählung nicht erfaßt. Das ist genau das Dilemma der deutschen Radverkehrspolitik. Sie wird von Radlern für Radler gemacht. Nicht für alle.

  2. Die Absicht eines Verkehrsversuchs sollte sein, etwas noch nie Umgesetztes auszutesten,
    Einfach mal das Gehirn einschalten vor einem Versuch sollte doch ausreichend sein statt einfach mal auszutesten
    Es handelt sich sonst um Schaffung eines sinnlosen gefahrenPotenzial und nebenbei einer sinnlosen steuergeldverschwendung.

  3. Bitte keine Poller direkt am Radweg oder Radfahrstreifen: Alleinunfälle mit Hindernissen auf oder zu nahe den Radverkehrsflächen sind zahlenmäßig weit bedeutsamer als solche mit von hinten auffahrenden Autos (wenn man die Dunkelziffern betrachtet, wird es vermutlich noch mal mehr).
    Berlin nutzt bei seinen jetzt projektierten wie den ersten umgesetzten Protected Bike Lanes mindestens die vorgeschriebenen Sicherheitsabstände von mind. 30, (eher 50) cm zur Fahrbahn und mind. 25 cm zu Radweg. Heißt bei etwa 10 cm breiten Pollern: nicht unter 65 (85) cm breite Sicherheitsstreifen, in denen Poller stehen könnten.

    Und Lieferfahrzeuge gleich neben einem Radweg: auch bei Lieferfahrzeugen gibt es Beifahrertüren, und dann gibt es wegen dem Bord überhaupt keine Ausweichmöglichkeit mehr. Radfahrstreifen rechts neben Parkreihen haben sich als ungünstig erwiesen, wenn nicht ein Sicherheitstrennstreifen möglich ist (bei einem Radweg kann wenigstens noch unerlaubt auf den Gehweg ausgewichen werden). Übrigens hat auch das viel gelobte Kopenhagen den Sicherheitstrennstreifen zwischen Radweg und Parkreihe oft nicht: gerade die in Kopenhagen sehr schnell fahrenden überholenden Radfahrer sind damit im unmittelbaren Gefahrenbereich von Autotüren, die von Beifahrern ja eher noch weniger achtsam geöffnet werden als von Fahrern. Aber dafür haben sie in Kopenhagen auf langen Strecken wichtiger Straßen für Busse, Kfz- und Radverkehr fast sämtliche Parkplätze entfernt, was dann die Flächenkonkurrenz deutlich verringert.

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